520 Idyllen aus Messina
„acarus reduvius, eine in gesträuchen lebende milbe, die thieren lästig wird."
(Grimm 1854-1971, 10, 1768 f.) N. spielt mit dieser Doppeldeutigkeit. Die erste
Bedeutung passt allgemein zur Ziegenhirten-Rolle des lyrischen Ichs und spe-
ziell zum Vergleich der Geliebten mit „meine[n] Ziegen" (338, 8) in der vorigen
Strophe; vor diesem Hintergrund ergeben sich Assoziationen zum Ziegenbock,
der traditionell Inbegriff sexueller Aktivität ist: Entsprechend wird auch in
Theokrits 3. Idylle ein „stößiger Bock" erwähnt. Die zweite Bedeutung knüpft
hingegen an die Rede von den „Wanzen" in Strophe 1 an und vergleicht die
vermuteten Nebenbuhler mit lästigem Ungeziefer.
338, 13 Wie kraus [...] macht] Grimms Deutsches Wörterbuch listet mehrere Ver-
wendungsweisen des Adjektivs „kraus" auf, die einen missmutigen, schmerzli-
chen Gesichtsausdruck bezeichnen: „die gerunzelte stirn, miene u. dgl. wird
kraus" (Grimm 1854-1971, 11, 2088).
338, 18 Gleich sieben Uebeln -] Anspielung auf Luthers wenig bekannte Lehre
von den sieben Übeln, die dieser in seiner 1519 entstandenen Trostschrift für
den kranken Kurfürsten Friedrich den Weisen auflistet und den komplementä-
ren sieben Gütern gegenüberstellt. In der Schrift mit dem Titel Tesseradecas
consolatoria pro laborantibus et oneratiis (Vierzehn Tröstungen für Mühselige
und Beladene) listet Luther die sieben Übel auf: 1) das Übel in uns: das Verder-
ben der eigenen Sünde, 2) das Übel vor uns: künftige Not, 3) das Übel hinter
uns: vergangene Not, 4) das Übel unter uns: Tod und Hölle, 5) das Übel zu
unserer Linken: das Leid der Feinde, 6) das Übel zu unserer Rechten: das Leid
der Freunde, 7) Das Übel über uns: Kreuz und Tod Christi. Bei N. wird der
christliche Bezug restlos getilgt; die ,sieben Übel' haben demgegenüber nur
noch die Funktion, die Intensität des Liebesleids metaphorisch zu bezeichnen.
Diese selbst wird freilich durch die anschließenden Verse: „Nichts mag ich es-
sen schier, / Lebt wohl, ihr Zwiebeln!" (338, 19 f.) wieder ironisch depotenziert.
338, 21 f. Der Mond ging schon in's Meer, / Müd sind alle Sterne] Als Prätext
kommt (vgl. Grimm 1985, 227 f. u. Müller 1995, 81) der Anfang von Sapphos
Fragment 52 (Bergk) infrage, das sich N. 1863, während seiner Schulzeit, eigens
notiert hat (KGW 1/3, 128, 2-5): „Nun ist schon der Mond versunken / und auch
die Plejaden" (Sappho 1963, 73). Denkbar ist jedoch auch eine parodistische
Inversion der Anfangszeilen von Matthias Claudius' berühmtem Abendlied:
„Der Mond ist aufgegangen, / Die goldnen Sternlein prangen" (Claudius 1968,
217). Auch diesen Text kannte N. schon seit früher Jugend, wie aus seinem 1858
verfassten ,Lebensrückblick' hervorgeht, in dem er diese beiden Eingangsverse
zitiert (vgl. KGW I/1, 295, 21 f.).
338, 23 f. Grau kommt der Tag daher - / Ich stürbe gerne.] Thematische Bezug-
nahme auf das Ende von Theokrits 3. Idylle, wo der singende Ziegenhirte sich
„acarus reduvius, eine in gesträuchen lebende milbe, die thieren lästig wird."
(Grimm 1854-1971, 10, 1768 f.) N. spielt mit dieser Doppeldeutigkeit. Die erste
Bedeutung passt allgemein zur Ziegenhirten-Rolle des lyrischen Ichs und spe-
ziell zum Vergleich der Geliebten mit „meine[n] Ziegen" (338, 8) in der vorigen
Strophe; vor diesem Hintergrund ergeben sich Assoziationen zum Ziegenbock,
der traditionell Inbegriff sexueller Aktivität ist: Entsprechend wird auch in
Theokrits 3. Idylle ein „stößiger Bock" erwähnt. Die zweite Bedeutung knüpft
hingegen an die Rede von den „Wanzen" in Strophe 1 an und vergleicht die
vermuteten Nebenbuhler mit lästigem Ungeziefer.
338, 13 Wie kraus [...] macht] Grimms Deutsches Wörterbuch listet mehrere Ver-
wendungsweisen des Adjektivs „kraus" auf, die einen missmutigen, schmerzli-
chen Gesichtsausdruck bezeichnen: „die gerunzelte stirn, miene u. dgl. wird
kraus" (Grimm 1854-1971, 11, 2088).
338, 18 Gleich sieben Uebeln -] Anspielung auf Luthers wenig bekannte Lehre
von den sieben Übeln, die dieser in seiner 1519 entstandenen Trostschrift für
den kranken Kurfürsten Friedrich den Weisen auflistet und den komplementä-
ren sieben Gütern gegenüberstellt. In der Schrift mit dem Titel Tesseradecas
consolatoria pro laborantibus et oneratiis (Vierzehn Tröstungen für Mühselige
und Beladene) listet Luther die sieben Übel auf: 1) das Übel in uns: das Verder-
ben der eigenen Sünde, 2) das Übel vor uns: künftige Not, 3) das Übel hinter
uns: vergangene Not, 4) das Übel unter uns: Tod und Hölle, 5) das Übel zu
unserer Linken: das Leid der Feinde, 6) das Übel zu unserer Rechten: das Leid
der Freunde, 7) Das Übel über uns: Kreuz und Tod Christi. Bei N. wird der
christliche Bezug restlos getilgt; die ,sieben Übel' haben demgegenüber nur
noch die Funktion, die Intensität des Liebesleids metaphorisch zu bezeichnen.
Diese selbst wird freilich durch die anschließenden Verse: „Nichts mag ich es-
sen schier, / Lebt wohl, ihr Zwiebeln!" (338, 19 f.) wieder ironisch depotenziert.
338, 21 f. Der Mond ging schon in's Meer, / Müd sind alle Sterne] Als Prätext
kommt (vgl. Grimm 1985, 227 f. u. Müller 1995, 81) der Anfang von Sapphos
Fragment 52 (Bergk) infrage, das sich N. 1863, während seiner Schulzeit, eigens
notiert hat (KGW 1/3, 128, 2-5): „Nun ist schon der Mond versunken / und auch
die Plejaden" (Sappho 1963, 73). Denkbar ist jedoch auch eine parodistische
Inversion der Anfangszeilen von Matthias Claudius' berühmtem Abendlied:
„Der Mond ist aufgegangen, / Die goldnen Sternlein prangen" (Claudius 1968,
217). Auch diesen Text kannte N. schon seit früher Jugend, wie aus seinem 1858
verfassten ,Lebensrückblick' hervorgeht, in dem er diese beiden Eingangsverse
zitiert (vgl. KGW I/1, 295, 21 f.).
338, 23 f. Grau kommt der Tag daher - / Ich stürbe gerne.] Thematische Bezug-
nahme auf das Ende von Theokrits 3. Idylle, wo der singende Ziegenhirte sich