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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0537
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522 Idyllen aus Messina

Schuld trotzdem nicht vorhanden. So steht es mit aller Schuld." (FW 250, KSA
3, 515, 21-24) Als ,unschuldig' erscheint sich auch die im Titel genannte und
im Folgenden als lyrisches Ich auftretende „Hexe", insofern sie nicht nur zur
„kleine[n] Hexe" verniedlicht wird, sondern sich sogar als „fromm" erweist:
Mit dem „Teufel" will sie sich erst als „altes Wackelweibchen" abgeben (340,
2 f.); vorher sucht sie die Nähe der „art'gen Mönchlein" (339, 6).
Im Druckmanuskript lautete der Titel noch Juanita. Der ursprüngliche Titel
spielt auf die Figur des Frauenhelden Don Juan an; das lyrische Ich erscheint
demnach als eine weibliche Variante des Don Juan.
339, 2 f. So lang noch hübsch mein Leibchen, / Lohnt sichs schon, fromm zu
sein.] Der paradox anmutende Einfall, Frömmigkeit an die Bedingung - ver-
gänglicher - körperlicher Schönheit zu knüpfen, bereitet schon gleich zu Be-
ginn die Schluss-Pointe des Gedichts vor, der zufolge das Frommsein im Alter
zu verabschieden sei (deshalb auch werden die Anfangsverse in der letzten
Strophe noch einmal refrainartig wiederholt). Die damit verbundene Koppe-
lung von Lohn und Frömmigkeit entspricht durchaus der Etymologie: Das Ad-
jektiv „fromm" geht auf das althochdeutsche Substantiv fruma (der ,Bevorzug-
te') bzw. das mittelhochdeutsche vrum zurück (der ,Vorteil', der ,Nutzen'), und
bedeutete ursprünglich ,nützlich', ,tauglich' oder eben ,lohnend'. Vgl. Grimm
1854-1971, 4, 241: „fromm, nützlich, utilis (ygl. das verbum frommen)". Etymolo-
gisch betrachtet handelt es sich bei V. 2 also um eine tautologische Formulie-
rung. Der hier erwogene ,Lohn der Frömmigkeit' ist freilich nicht die von der
Kirche in Aussicht gestellte ,ewige Seligkeit', sondern die körperliche Freude
erotischer Sinnlichkeit.
339, 4 Man weiss, Gott liebt die Weibchen] In der Bibel finden sich nicht nur
viele Stellen, die allgemein Gott und Liebe assoziieren (vgl. etwa 1. Joh. 4, 8
und 4, 16: „Gott ist die Liebe" oder 1. Kor. 13, 13: „Nun aber bleibt Glaube,
Hoffnung, Liebe, diese drey; aber die Liebe ist die größeste unter ihnen") und
die Liebe Gottes bzw. Christi zu den Menschen betonen (vgl. Römer 5, 8: „Da-
rum preiset Gott seine Liebe gegen uns, daß Christus für uns gestorben ist").
Darüber hinaus wird in den Evangelien auch von etlichen Frauen berichtet,
denen sich Jesus heilend und helfend zugewandt hat, darunter auch Ehebre-
cherinnen. Einige dieser Frauen sollen sich ihm und seinen Jüngern ange-
schlossen haben, und Frauen waren es auch, die seinen Tod, seine Grablegung
begleiteten und zuerst von seiner Auferstehung erfuhren. Das apokryphe Phi-
lippus-Evangelium erwähnt sogar, dass Jesus die in katholischer Überlieferung
als ehemalige Sünderin bzw. Prostituierte geltende Maria Magdalena „[oftmals]
auf ihren [Mund]" geküsst haben soll (EvPhil 55b). Bereits Goethe, mit dem
sich N. „über das ,Kreuz'" zu verstehen meinte (GD Streifzüge eines Unzeitge-
 
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