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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0277
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Stellenkommentar JGB 32, KSA 5, S. 50 257

ist N. im Sommer 1884 bei einer erneuten Schopenhauer-Lektüre begegnet. Da-
bei glossierte er fortlaufend Exzerpte aus der Preisschrift über die Grundlage
der Moral: „Kant sagt p. 19 Rosenkranz}, ,der moralische Werth einer Hand-
lung liege durchaus nicht in der Absicht, in der sie geschah, sondern in der
Maxime, die man befolgte/ »Wogegen (Schopenhauer Grundlage der Moral
p. 134) ich zu bedenken gebe, daß die Absicht allein über moralischen Werth
oder Unwerth einer That entscheidet, weshalb die selbe That, je nach ihrer
Absicht, verwerflich oder lobenswerth sein kann4 usw. / ego: aber was er
mit der That wollte, ob dies lobens- oder tadelnswerth ist, hängt doch von der
Maxime ab, die der Lobende oder Tadelnde hat, und folglich von der Beurthei-
lung der Maxime, nach welcher der Handelnde gehandelt hat: ist es nämlich
nicht die gleiche, so empört sich der gewöhnliche Mensch gegen den Handeln-
den, er setzt aber voraus, daß er gleich die Handlungen schätzt. Kant hat
Recht, daß weil es verschiedene Maximen giebt, und von verschiedenem mora-
lischen Werthe, der Werth einer Handlung zuletzt immer zur Frage nach
dem Werthe der ihr zu Grunde liegenden Maxime zurück-
führt. / Schopenhauer} ist ebenso sicher zu wissen, was gut und böse ist,
wie Kant — das ist der Humor der Sache.“ (NL 1884, KSA 11, 26[84], 170, 25-
171, 16) Der Text, den N. glossierte, ist selber eine Glosse, und zwar zu Kants
Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, wo es (nach der bei Schopenhauer zi-
tierten Rosenkranz-Ausgabe) im Original heißt: „eine Handlung aus Pflicht hat
ihren moralischen Werth nicht in der Absicht, welche dadurch erreicht
werden soll, sondern in der Maxime, nach der sie beschlossen wird, hängt also
nicht von der Wirklichkeit des Gegenstandes der Handlung ab, sondern blos
von dem Princip des Wollens, nach welchem die Handlung, unangese-
hen aller Gegenstände des Begehrungsvermögens, geschehen ist.“ (Kant 1838,
8, 19) Die Wiedergabe dieses Satzes bei Schopenhauer ist nun entscheidend
verkürzt, weil er Kants Erklärung von „Absicht“ als das, was „erreicht werden
soll“, stillschweigend weglässt. Die von N. exzerpierte Stelle lautet: „Obigen
Ansichten entsprechend soll, nach S. 13 [sc. der zweiten Auflage von 1786]; —
R., S. 19 [sc. Kant 1838, 8, 19], der moralische Werth einer Handlung durchaus
nicht in der Absicht liegen, in der sie geschah, sondern in der Maxime, die
man befolgte. Wogegen ich zu bedenken gebe, daß die Absicht allein über
moralischen Werth, oder Unwerth einer That entscheidet, weshalb die selbe
That, je nach ihrer Absicht, verwerflich, oder lobenswerth seyn kann. Daher
auch, so oft unter Menschen eine Handlung von irgend moralischem Belange
dis-/135/kutirt wird, Jeder nach der Absicht forscht und nach dieser allein
die Handlung beurtheilt; wie auch andererseits mit der Absicht allein Jeder
sich rechtfertigt, wenn er seine Handlung mißdeutet sieht, oder sich entschul-
digt, wenn sie einen nachtheiligen Erfolg gehabt.“ (Schopenhauer 1873-1874,
 
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