258 Jenseits von Gut und Böse
4/2,134 f.) In dieser Passage benutzte Schopenhauer gegen Kant auch den von
N. später adaptierten Ausdruck „Sklavenmoral“ (vgl. NK 208, 25 f.).
Der Sprecher in N.s Notizen-Replik scheint wiederum zu Kants Maximen-
Orientierung zurückzukehren und die mit einer Handlung verbundenen Ab-
sichten in der Welt bei der Beurteilung der „That“ auszublenden. In JGB 32
wiederum entfällt die Maxime als expliziter Gegenpart der „Absicht“. Es ist
auch nicht sicher, dass bei der Behauptung, es sei nach Maßgabe der „Absicht“
„fast bis auf die neueste Zeit auf Erden moralisch gelobt, getadelt, gerichtet,
auch philosophirt worden“, mit diesem „fast“ Kant ausgenommen werden soll.
Immerhin indiziert die „Absicht“ als Wirkenwollen in der Welt noch nicht jene
weitere „Selbstbesinnung und Vertiefung des Menschen“ (51, 10 f.), die sich
nach der Ablösung vom „Aberglauben“ der „Absicht“-Fixierung in einer „aus-
sermoralischen“ Epoche abzeichnet. Denn mit der „Absicht“ bleibt die Hand-
lung noch etwas Äußerliches, durch äußerliche Umstände Mitbestimmtes,
während Kants Maximen die Herkunft der Handlung ganz ins Innere des Hand-
lungssubjektes verlegen sollen. Das wäre dann tatsächlich eine als „Vertie-
fung“ deutbare „Verinnerlichung“. Jedoch geht der Schluss-Passus von JGB 32
diesen Weg gerade nicht, wenn er alles Bewusste aus der Handlungsbeurtei-
lung ausschließen will - es sei denn, man fasste auch die Maximen, nach de-
nen jemand handelt, als unbewusst auf - im Sinne von unbewussten Wertent-
scheidungen.
51, 7-24 Sollten wir aber heute nicht bei der Nothwendigkeit angelangt sein, uns
nochmals über eine Umkehrung und Grundverschiebung der Werthe schlüssig zu
machen, Dank einer nochmaligen Selbstbesinnung und Vertiefung des Men-
schen, — sollten wir nicht an der Schwelle einer Periode stehen, welche, negativ,
zunächst als die aussermoralische zu bezeichnen wäre: heute, wo wenigs-
tens unter uns Immoralisten der Verdacht sich regt, dass gerade in dem, was
nicht-absichtlich an einer Handlung ist, ihr entscheidender Werth belegen
sei, und dass alle ihre Absichtlichkeit, Alles, was von ihr gesehn, gewusst, „be-
wusst“ werden kann, noch zu ihrer Oberfläche und Haut gehöre, — welche, wie
jede Haut, Etwas verräth, aber noch mehr verbirgt? Kurz, wir glauben, dass
die Absicht nur ein Zeichen und Symptom ist, das erst der Auslegung bedarf,
dazu ein Zeichen, das zu Vielerlei und folglich für sich allein fast nichts bedeu-
tet, — dass Moral, im bisherigen Sinne, also Absichten-Moral ein Vorurtheil gewe-
sen ist] Wenn in der neuen Periode der Moralgeschichte der Wert einer Hand-
lung am Nicht-Absichtlichen festgemacht werden soll, dann bleibt mit dieser
Negation zunächst alles ebenso offen wie bei der Periodenbezeichnung „außer-
moralisch“: bei N. wird nicht, wie von Kant, die Maxime gegen die Absicht
ausgespielt (vgl. NK 50, 31-51, 7), aber auch nicht ausgeschlossen, dass das
Nicht-Absichtliche in der Maxime liegen könnte - allerdings unter der Bedin-
4/2,134 f.) In dieser Passage benutzte Schopenhauer gegen Kant auch den von
N. später adaptierten Ausdruck „Sklavenmoral“ (vgl. NK 208, 25 f.).
Der Sprecher in N.s Notizen-Replik scheint wiederum zu Kants Maximen-
Orientierung zurückzukehren und die mit einer Handlung verbundenen Ab-
sichten in der Welt bei der Beurteilung der „That“ auszublenden. In JGB 32
wiederum entfällt die Maxime als expliziter Gegenpart der „Absicht“. Es ist
auch nicht sicher, dass bei der Behauptung, es sei nach Maßgabe der „Absicht“
„fast bis auf die neueste Zeit auf Erden moralisch gelobt, getadelt, gerichtet,
auch philosophirt worden“, mit diesem „fast“ Kant ausgenommen werden soll.
Immerhin indiziert die „Absicht“ als Wirkenwollen in der Welt noch nicht jene
weitere „Selbstbesinnung und Vertiefung des Menschen“ (51, 10 f.), die sich
nach der Ablösung vom „Aberglauben“ der „Absicht“-Fixierung in einer „aus-
sermoralischen“ Epoche abzeichnet. Denn mit der „Absicht“ bleibt die Hand-
lung noch etwas Äußerliches, durch äußerliche Umstände Mitbestimmtes,
während Kants Maximen die Herkunft der Handlung ganz ins Innere des Hand-
lungssubjektes verlegen sollen. Das wäre dann tatsächlich eine als „Vertie-
fung“ deutbare „Verinnerlichung“. Jedoch geht der Schluss-Passus von JGB 32
diesen Weg gerade nicht, wenn er alles Bewusste aus der Handlungsbeurtei-
lung ausschließen will - es sei denn, man fasste auch die Maximen, nach de-
nen jemand handelt, als unbewusst auf - im Sinne von unbewussten Wertent-
scheidungen.
51, 7-24 Sollten wir aber heute nicht bei der Nothwendigkeit angelangt sein, uns
nochmals über eine Umkehrung und Grundverschiebung der Werthe schlüssig zu
machen, Dank einer nochmaligen Selbstbesinnung und Vertiefung des Men-
schen, — sollten wir nicht an der Schwelle einer Periode stehen, welche, negativ,
zunächst als die aussermoralische zu bezeichnen wäre: heute, wo wenigs-
tens unter uns Immoralisten der Verdacht sich regt, dass gerade in dem, was
nicht-absichtlich an einer Handlung ist, ihr entscheidender Werth belegen
sei, und dass alle ihre Absichtlichkeit, Alles, was von ihr gesehn, gewusst, „be-
wusst“ werden kann, noch zu ihrer Oberfläche und Haut gehöre, — welche, wie
jede Haut, Etwas verräth, aber noch mehr verbirgt? Kurz, wir glauben, dass
die Absicht nur ein Zeichen und Symptom ist, das erst der Auslegung bedarf,
dazu ein Zeichen, das zu Vielerlei und folglich für sich allein fast nichts bedeu-
tet, — dass Moral, im bisherigen Sinne, also Absichten-Moral ein Vorurtheil gewe-
sen ist] Wenn in der neuen Periode der Moralgeschichte der Wert einer Hand-
lung am Nicht-Absichtlichen festgemacht werden soll, dann bleibt mit dieser
Negation zunächst alles ebenso offen wie bei der Periodenbezeichnung „außer-
moralisch“: bei N. wird nicht, wie von Kant, die Maxime gegen die Absicht
ausgespielt (vgl. NK 50, 31-51, 7), aber auch nicht ausgeschlossen, dass das
Nicht-Absichtliche in der Maxime liegen könnte - allerdings unter der Bedin-