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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0276
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256 Jenseits von Gut und Böse

thun sollten“ (ebd., 123) - und die „Absolutheit der Moral“ gilt ganz unabhän-
gig davon, wann sie entdeckt worden ist. Der hierin zu N. geradezu antipodi-
sche amerikanische Philosoph William Mackintire Salter (1853-1931) hat 1917
mit Nietzsche, the Thinker eine voluminöse Studie vorgelegt, die N. ausdrück-
lich gegen die politische Inanspruchnahme im Deutschen Kaiserreich und
auch als Philosophen in Schutz nahm (vgl. Steilberg 1996, 254-260). Dafür,
dass N. seinerseits Salter wahrgenommen hätte, gibt es freilich keine direkten
Belege. Immerhin ist bemerkenswert, dass Helene von Druskowitz 1886 in ih-
rem Buch Moderne Versuche eines Religionsersatzes nicht nur N.s Also sprach
Zarathustra als ein Werk mit dem zweifelhaften Anspruch, „ein neues Evange-
lium geschaffen zu haben“ (Druskowitz 1886, 45 - KGB III 7/2, 502), kritisch
besprochen hat, sondern ausdrücklich Salter mit seiner Die Religion der Moral
gegen Zarathustra ausspielte: „Wir erwähnten bereits, daß Nietzsche mit die-
sem Werke offenbar ein neues Evangelium geschaffen zu haben glaubte und
daß er darin selbst die Form der heiligen Bücher wiedergegeben hat, ohne daß
wir dies billigen könnten. Wenn die alte Sprache auch den Vortheil einer grö-
ßeren Wucht und Kraft bietet, so ist sie doch nicht fähig unsere modernen
verfeinerten Empfindungen und Gedanken wiederzugeben. Wer sich deshalb
dieser Sprache bedient, wird einer vergröbernden Rückwirkung auf seine Ge-
danken nicht entrathen /55/ können, wie sich auch in Nietzsche’s Werk nur zu
deutlich zeigt. Da hat W. M. Salter in dem Buche, das wir bald besprechen
werden, den Ton weit richtiger getroffen, in dem man heute eine Lehre vortra-
gen muß, um die Herzen zu entflammen.“ (Druskowitz 1886, 54 f. = KGB III 7/
2, 508) Diese Kritik kannte N. sehr wohl (er stand schon früher mit der Verfasse-
rin in Kontakt) und empörte sich darüber etwa im Brief an Malwida von Mey-
senbug Ende Februar 1887: „Ein Frl. Druscowicz soll sich neuerdings durch
ein altkluges Litteraten-Geschwätz an meinem Sohne Zarathustra versündigt
haben: es scheint, durch irgend ein Verbrechen habe ich die weiblichen Feder-
kiele gegen meine Brust gerichtet — und so ist’s Recht!“ (KSB 7/KGB III/3,
Nr. 809, S. 34 f., Z. 37-42). Druskowitz 1886, 80-87 widmete Salters Religion der
Moral ein eigenes Kapitel. Die Frage, ob N. über Druskowitz zu Salters Buch
Zugang gefunden hat, bleibt offen.
50, 31-51, 7 Freilich: ein verhängnissvoller neuer Aberglaube, eine eigenthümli-
che Engigkeit der Interpretation kam eben damit zur Herrschaft: man interpretir-
te die Herkunft einer Handlung im allerbestimmtesten Sinne als Herkunft aus
einer Absicht; man wurde Eins im Glauben daran, dass der Werth einer Hand-
lung im Werthe ihrer Absicht belegen sei. Die Absicht als die ganze Herkunft und
Vorgeschichte einer Handlung: unter diesem Vorurtheile ist fast bis auf die neues-
te Zeit auf Erden moralisch gelobt, getadelt, gerichtet, auch philosophirt worden.]
Dieser Tendenz, die Handlung allein aus einer „Absicht“ entspringen zu sehen,
 
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