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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0483
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Stellenkommentar JGB 154, KSA 5, S. 99-100 463

Titelformel des Werkes, „jenseits von Gut und Böse“, kommt im Text des Wer-
kes insgesamt sechsmal vor, nämlich in JGB 4, KSA 5, 18, 20; JGB 44, KSA 5,
62, 10 f.; JGB 56, KSA 5, 74, 30; JGB 153, KSA 5, 99, 20 f.; JGB 212, KSA 5, 147,
14 f. und JGB 260, KSA 5, 210, 34. Da der Konflikt von Liebe und Moral zu den
klassischen Motiven der abendländischen Kultur - namentlich der Literatur -
gehört, überrascht auch N.s Pointierung unter Zuhilfenahme seines Werktitels
nicht. Libertinistisch (miss)verstanden wurde beispielsweise gern das gassen-
läufige Wort von Augustinus, mit dem dieser freilich keineswegs dem amourö-
sen Immoralismus das Wort reden wollte: „Dilige, et quod vis fac“ (Aurelius
Augustinus: In epistolam loannis ad Parthos tractatus decem VII8 = Patrologiae
latinae cursus completus, ed. Jacques Paul Migne, Bd. 35, Paris 1864, Sp. 2033.
Normalerweise übersetzt: „Liebe und tue, was du willst!“ Adäquater wäre:
„Liebe und was du willst, tue!“). JGB 164, KSA 5, 101, 11-13 legt dementspre-
chend Jesus selbst eine immoralistische Liebesethik in den Mund.
JGB 153 hat sich Thomas Mann 1894/95 in einem Notizbuch exzerpiert
(Mann 1991, 34, dazu Lehnert 1968, 33), ebenso Alma Schindler, spätere Alma
Mahler-Werfel, in ihrem Tagebuch (Mahler-Werfel 1997, 416).
154.
100, 2-4 Der Einwand, der Seitensprung, das fröhliche Misstrauen, die Spottlust
sind Anzeichen der Gesundheit: alles Unbedingte gehört in die Pathologie.] Eine
Fassung in NL 1882, KSA 10, 3[1]143, 70, 10-12 lautet: „Der Einwand, das Miß-
trauen, der Seitensprung sind Anzeichen der Gesundheit: alles unbedingte
Streben gehört in die Pathologie.“ Schon etwas weiter von der schließlich ge-
druckten Fassung entfernt ist NL 1882/83, KSA 10, 5[25], 224, 12 f.: „Der Ein-
wand, das Mißtrauen, der Seitensprung sind Zeichen des gesunden Geistes.
Alles Unbedingte verräth den Kranken.“ Der Gedanke wandert dann durch Vor-
arbeiten zu Za, zuerst noch als Abkömmling von 3[1]143 direkt erkennbar in
NL 1884/85, KSA 11, 31 [53], 386, 15-17: „wer von Herzen willig und wohl ist,
der liebt auch die Seitensprünge: wehe aber allen den Unbedingten! es ist eine
kranke Art.“ In NL 1884/85, KSA 11, 31[64], 393, 30f. ist es dann Zarathustra,
der die „Seitensprünge liebt“, statt ein „Unbedingter“ zu sein - was aufgenom-
men wird in NL 1884/85, KSA 11, 33[1], 421, If. und schließlich in Za IV Vom
höheren Menschen 18, KSA 4, 366, 17f. In NL 1884/85, KSA 11, 31[64], 394, 32-
34 wird wie später in Za IV Vom höheren Menschen 16, KSA 4, 365,16-18 gegen
die Pöbelhaftigkeit der Unbedingtheitsansprüche agitiert. Dazu passt auch,
dass es nach JGB 46, KSA 5, 67, 17 f. der „Sklave“ ist, der „Unbedingtes“ wolle.
Gegen die Unbedingtheitsaspirationen in der Philosophie, namentlich der-
jenigen neukantianischen Zuschnitts, wird in Texten N.s wiederholt Wider-
 
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