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Überblickskommentar 43

Stegmaier in seiner weithin rezipierten Werkinterpretation von GM heraus,
wenn er geltend macht, dass N. in GM „auf eine Moral im Umgang mit Mora-
len" abziele, deren „Tugenden [...] Vornehmheit und Gerechtigkeit" seien (Steg-
maier 1994, 3). Für Stegmaier handelt GM „nicht nur von der Moral, sondern
vom Denken überhaupt" (ebd., 1), das N. als moralisch restringiert erfahren
habe, weshalb das moralkritische Geschäft auch als ein denkkritisches er-
scheint. „Nietzsches Kritik der Moral am Grunde des Denkens befreit für die
Andersheit anderer Moralen. Sie nötigt zur Reflexion der eigenen Moral an an-
deren Moralen und eröffnet so eine Ethik der Individualität, nach der Individu-
en einander freilassen, statt Rechtfertigungen voneinander zu fordern. Sie
könnte die Ethik sein, die wir heute zum Leben brauchen." (Ebd., 3 f.) Bernard
Williams greift wiederholt auf GM zurück (dazu ausführlich Klaiber 2017 sowie
Queloz/Cueni 2019); Ray Brassier will mit Hilfe von GM und Sigmund Freud
plausibel machen, dass das Reale an sich sinnlos sei (Brassier 2007). Aber auch
kritische Stimmen wie diejenige von Philippa Foot gegen die Adaptierbarkeit
von GM sind unüberhörbar: „Nietzsche's defenders are like those who say of
Wagner that he is better than he sounds." (Foot 1994, 10) Und Charles Taylor
wird nicht müde zu warnen, dass, wenn N.s „genealogies" wahr, sie auch völ-
lig verheerend wären (Taylor 1989, 72, dazu Katsafanas 2011, 170). Martin 2016,
bes. 193-198 macht darauf aufmerksam, wie beliebt es in der neuen Ge-
schichts- und Politikwissenschaft bis hin zu Charles Taylor und Quentin Skin-
ner geworden sei, von genealogischem Vorgehen zu sprechen - ohne N.s viel-
gestaltigem Ansatz dabei doch gerecht werden zu können. Die GM-Adaption
bei Ulrich Bröckling im Blick auf eine Soziologie der Pastoralisierungstechni-
ken wirkt dagegen schon viel textnäher (Bröckling 2017).
 
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