52 Zur Genealogie der Moral
sehen Bereich. Aufschlussreich mag sein, dass Theodor Keim für seine Überset-
zung der nur aus sekundärer, christlicher Überlieferung rekonstruierbaren Po-
lemik gegen das Christentum ÄAriOfc Aöyoc; des Platonikers Kelsos (2. Jh.
n. Chr.) ebenfalls den Titel „Streitschrift" wählt (Keim 1873). Overbeck hat sich
mit Keims Elaborat, das er wegen philologischer Unzulänglichkeit scharf kriti-
sierte, intensiv auseinandergesetzt. Er äußerte sich darüber ausführlich am
01. 11. 1883 gegenüber Köselitz (Overbeck/Köselitz 1998, 149), der sich danach
erkundigt hatte. Über diesen Umweg könnte der Band auch N. zu Gesicht ge-
kommen sein (vgl. Sommer 2000a, 186, Fn. 55). Vgl. NK 282, 4-6, zum Zusam-
menhang von Streitschrift und historiographischer Hypothesenbildung John-
son 2014, 232.
Bemerkenswert ist, dass GM im selben Jahr wie Zur Moral der literarischen
Kritik. Eine moralphilosophische Streitschrift von Wilhelm Wundt erschienen ist.
Es handelt sich um eine überaus scharfe Abrechnung mit einem Aufsatz von
Hugo Sommer, der unter dem Titel Der ethische Evolutionismus Wilhelm
Wundt's im Märzheft der Preußischen Jahrbücher 1887 abgedruckt worden war.
Wundt bemüht sich, gegen Sommer den Verdacht zu zerstreuen, er lehre einen
amoralischen Utilitarismus, Individualismus und Evolutionismus oder wolle
gar die Bedeutung der (christlichen) Religion für die Grundlegung der Moral
bestreiten. Zwar ist Wundts Streitschrift weder unter N.s Büchern erhalten,
noch findet sie bei ihm jemals Erwähnung, aber es fällt doch auf, dass er sei-
nen Verleger Constantin Georg Naumann am 08. 11. 1887 anweist, Wundt ein
Exemplar von GM zu schicken (KSB 8/KGB III 5, Nr. 846, S. 188, Z. 72), obwohl
er mit diesem bis dahin nie in persönlichen Kontakt getreten war. Dabei sind
die intellektuellen Berührungspunkte zwischen N. und Wundt vielfältig (vgl.
Heit 2014a, 28 u. 41): Schon 1877 erwähnt Wundt N. in einer Darstellung der
deutschsprachigen Gegenwartsphilosophie für die englische Zeitschrift Mind
(Reich 2013, 532); Wundts wissenschaftsaffines Philosophieren ist für N. so-
wohl bei der Konzeptualisierung des Willens (Cowan 2005, 50 f.) als auch der
Ewigen Wiederkunft (D'lorio 1995, 85 u. Treiber 1996, 410-412) nicht ohne Re-
levanz gewesen. Für seine von Hugo Sommer angefeindete Ethik hatte Wundt
(ebenso wie N. in GM) Leopold Schmidts Ethik der alten Griechen und insbeson-
dere dessen etymologische Ausführungen rezipiert (Orsucci 1991 u. Orsucci
1996, 248-250). Auch wenn N. Wundts Zur Moral der literarischen Kritik. Eine
moralphilosophische Streitschrift vielleicht nie in Händen gehalten hat, könnte
er von Wundts Streit mit Sommer leicht aus der Presse erfahren haben (vgl.
auch Tille 1895, 62), zumal Sommer noch im Erscheinungsjahr von GM mit
einem eigenen Buch duplizierte (Sommer 1887).
Auf dem Titelblatt des Druckmanuskripts zu GM steht als Motto unterhalb
des Autornamens: „Tout comprendre c'est tout - mepriser?..." (GSA 71/27,1,
sehen Bereich. Aufschlussreich mag sein, dass Theodor Keim für seine Überset-
zung der nur aus sekundärer, christlicher Überlieferung rekonstruierbaren Po-
lemik gegen das Christentum ÄAriOfc Aöyoc; des Platonikers Kelsos (2. Jh.
n. Chr.) ebenfalls den Titel „Streitschrift" wählt (Keim 1873). Overbeck hat sich
mit Keims Elaborat, das er wegen philologischer Unzulänglichkeit scharf kriti-
sierte, intensiv auseinandergesetzt. Er äußerte sich darüber ausführlich am
01. 11. 1883 gegenüber Köselitz (Overbeck/Köselitz 1998, 149), der sich danach
erkundigt hatte. Über diesen Umweg könnte der Band auch N. zu Gesicht ge-
kommen sein (vgl. Sommer 2000a, 186, Fn. 55). Vgl. NK 282, 4-6, zum Zusam-
menhang von Streitschrift und historiographischer Hypothesenbildung John-
son 2014, 232.
Bemerkenswert ist, dass GM im selben Jahr wie Zur Moral der literarischen
Kritik. Eine moralphilosophische Streitschrift von Wilhelm Wundt erschienen ist.
Es handelt sich um eine überaus scharfe Abrechnung mit einem Aufsatz von
Hugo Sommer, der unter dem Titel Der ethische Evolutionismus Wilhelm
Wundt's im Märzheft der Preußischen Jahrbücher 1887 abgedruckt worden war.
Wundt bemüht sich, gegen Sommer den Verdacht zu zerstreuen, er lehre einen
amoralischen Utilitarismus, Individualismus und Evolutionismus oder wolle
gar die Bedeutung der (christlichen) Religion für die Grundlegung der Moral
bestreiten. Zwar ist Wundts Streitschrift weder unter N.s Büchern erhalten,
noch findet sie bei ihm jemals Erwähnung, aber es fällt doch auf, dass er sei-
nen Verleger Constantin Georg Naumann am 08. 11. 1887 anweist, Wundt ein
Exemplar von GM zu schicken (KSB 8/KGB III 5, Nr. 846, S. 188, Z. 72), obwohl
er mit diesem bis dahin nie in persönlichen Kontakt getreten war. Dabei sind
die intellektuellen Berührungspunkte zwischen N. und Wundt vielfältig (vgl.
Heit 2014a, 28 u. 41): Schon 1877 erwähnt Wundt N. in einer Darstellung der
deutschsprachigen Gegenwartsphilosophie für die englische Zeitschrift Mind
(Reich 2013, 532); Wundts wissenschaftsaffines Philosophieren ist für N. so-
wohl bei der Konzeptualisierung des Willens (Cowan 2005, 50 f.) als auch der
Ewigen Wiederkunft (D'lorio 1995, 85 u. Treiber 1996, 410-412) nicht ohne Re-
levanz gewesen. Für seine von Hugo Sommer angefeindete Ethik hatte Wundt
(ebenso wie N. in GM) Leopold Schmidts Ethik der alten Griechen und insbeson-
dere dessen etymologische Ausführungen rezipiert (Orsucci 1991 u. Orsucci
1996, 248-250). Auch wenn N. Wundts Zur Moral der literarischen Kritik. Eine
moralphilosophische Streitschrift vielleicht nie in Händen gehalten hat, könnte
er von Wundts Streit mit Sommer leicht aus der Presse erfahren haben (vgl.
auch Tille 1895, 62), zumal Sommer noch im Erscheinungsjahr von GM mit
einem eigenen Buch duplizierte (Sommer 1887).
Auf dem Titelblatt des Druckmanuskripts zu GM steht als Motto unterhalb
des Autornamens: „Tout comprendre c'est tout - mepriser?..." (GSA 71/27,1,