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62 Zur Genealogie der Moral

gabe „[D]em Andenken Voltaire's / geweiht" ist (Nietzsche 1878, [I]), lässt sich
nicht mit Sicherheit bestimmen. In EH MA 2 wird wirkungsvoll behauptet, die
„Anfänge" des Buches reichten in die Zeit der ersten Bayreuther Festspiele im
August 1876 zurück (vgl. NK KSA 6, 323, 15-17). Heinrich Köselitz berichtet
hingegen rückblickend, mehr als ein Viertel des Werks sei ihm von N. bereits
von Mai bis Juli 1876 diktiert worden (Schaberg 2002, 83). GM Vorrede 2 präfe-
riert hingegen einen späteren Beginn der Niederschrift. Dass für die Entwick-
lung der neuen Philosophie des Freigeistes - der die Zeit um 1876/77 in Sorrent
verbrachte - ein mit viel aufklärerisch-französischer Lektüre angefüllter Winter
zentral war, ist freilich unbestritten (vgl. NK KSA 6, 322, 18-24). Pikant ist aber
vor allem, was GM Vorrede 2 dem Leser verschweigt: Zur selben Zeit schrieb
nämlich Paul Ree in Sorrent das in GM Vorrede 4 attackierte Buch Der Ursprung
der moralischen Empfindungen zuende - und zwar in unmittelbarer Gesprächs-
gemeinschaft mit N. (KSA 15, 71). Auf dem Schmutztitel dieses Werks hat Ree
in dem N. gewidmeten Exemplar handschriftlich vermerkt: „Dem Vater dieser
Schrift dankbarst deren Mutter" (NPB 491). Vgl. NK 250, 17-29.
248, 5 f. Herkunft unserer moralischen Vorurtheile] Während man in der N.-
Sekundärliteratur unter dem Einfluss von Foucault 1971, 146-154 (vgl. dazu
kritisch Shapiro 2006, 235 u. Chaves 2015) gelegentlich dazu neigt, „Herkunft"
und „Ursprung" zu unterscheiden und den Begriff der „Herkunft" als bewusste
Alternative zum „Ursprung" zu nutzen, der fälschlich suggeriere, man könnte
wirklich an den eigentlichen und letzten Anfang zurückkehren, fällt auf, dass
GM offensichtlich keine begriffliche Feindifferenzierung unternimmt: Herkunft
und Ursprung, die jeweils rund 20 Mal in GM auftauchen, werden weitgehend
synonym verwendet. Im Unterschied zu GM Vorrede 2 wird etwa in GM Vorrede
4, KSA 5, 250, 17 f. und GM Vorrede 5, KSA 5, 251, 28 f. mit dem Ursprungsbegriff
operiert (vgl. auch Hatab 2008c, 27, Fn. 3).
248, 19-26 Dass ich aber heute noch an ihnen festhalte, dass sie sich selber
inzwischen immer fester an einander gehalten haben, ja in einander gewachsen
und verwachsen sind, das stärkt in mir die frohe Zuversichtlichkeit, sie möchten
von Anfang an in mir nicht einzeln, nicht beliebig, nicht sporadisch entstanden
sein, sondern aus einer gemeinsamen Wurzel heraus, aus einem in der Tiefe ge-
bietenden, immer bestimmter redenden, immer Bestimmteres verlangenden
Grundwillen der Erkenntniss.] JGB 229 führt den „Grundwillen des Geistes"
(167, 6 f.) ein, der dann in JGB 230 erläutert wird, um ihn auf Grundlage von
Otto Liebmanns Zur Analysis der Wirklichkeit als Assimilations- und Einverlei-
bungsfähigkeit zu begreifen (Liebmann 1880, 444). Freilich strebe dieser Wille
nicht nach Wahrheit, sondern nach Oberflächlichkeit (vgl. NK KSA 5, 167, 11-
29). Die parallele Wendung vom „Grundwillen der Erkenntniss" in GM Vor-
 
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