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Stellenkommentar GM Vorrede 5, KSA 5, S. 251-252 75

moralisch zu verhalten. Diesen Horizont des Pessimismus spannt GM Vorrede 5
auf - ein Abschnitt, der sich explizit mit Schopenhauers Pessimismus ausei-
nandersetzt, auf dessen Fluchtlinie der „Nihilismus" (252, 21 f.) liegt. Zur
Interpretation vgl. z. B. Poellner 2011, 120 f., der sich der Frage widmet, ob N.
beim Versuch, mit der historischen Darstellung der Ursprünge von Moral Zwei-
fel an ihrer Geltung zu säen, in einen naturalistischen Fehlschluss gerate.
251, 31-252, 1 hatte ich mich fast allein mit meinem grossen Lehrer Schopen-
hauer auseinanderzusetzen] Arthur Schopenhauer (1788-1860) war nicht im
wörtlichen Sinne N.s Lehrer, aber durchaus sein wesentlicher intellektueller
„Erzieher", wie es im Titel von UB III SE heißt. In einem Leipziger Antiquariat
war N. 1865 zufällig auf Schopenhauers Hauptwerk Die Welt als Wille und Vor-
stellung gestoßen; Schopenhauers Denken gewann einen bestimmenden Ein-
fluss auf N.s frühes philosophisches CEuvre. Bald machte sich allerdings N.s
Tendenz bemerkbar, gegen Schopenhauers Losung von der Willensverneinung
die Lebensbejahung auszuspielen (vgl. z. B. Stern 2019). Auf Schopenhauers
Moralphilosophie soll schließlich der Immoralismus antworten. Vgl. hierzu
z. B. Morgenstern 2018, 209.
252, 1-3 jenes Buch, die Leidenschaft und der geheime Widerspruch jenes Buchs
sich wendet (— denn auch jenes Buch war eine „Streitschrift")] Das letzte der
eigenen Bücher, auf das GM Vorrede 4, KSA 5, 251, 21 hinweist, ist MA II WS -
ein ursprünglich von MA unabhängig publiziertes Werk (Nietzsche 1880) -,
gemeint ist aber wohl jene „Aphorismen-Sammlung [...], die den Titel trägt
,Menschliches, Allzumenschliches. Ein Buch für freie Geister"' (GM Vorrede 2,
KSA 5, 248, 8-10).
252, 4-9 Es handelte sich in Sonderheit um den Werth des „Unegoistischen",
der Mitleids-, Selbstverleugnungs-, Selbstopferungs-Instinkte, welche gerade
Schopenhauer so lange vergoldet, vergöttlicht und verjenseitigt hatte, bis sie ihm
schliesslich als die „Werthe an sich" übrig blieben, auf Grund deren er zum Le-
ben, auch zu sich selbst, Nein sagte.] Im Sommer 1884 hat N. erneut Schopen-
hauers Preisschrift über die Grundlage der Moral gelesen und exzerpiert (vgl.
NK KSA 5, 50, 31-51, 7). In diesem Werk hatte Schopenhauer die drei „Grund-
Triebfedern der menschlichen Handlungen" analysiert, nämlich: „Egois-
mus; der das eigene Wohl will", „Bosheit; die das fremde Wehe will" und
schließlich „Mitleid; welches das fremde Wohl will" (Schopenhauer 1873-1874,
4/2, 210, vgl. NK KSA 6, 173, 20-22). Als Moralgrundlage kommt für Schopen-
hauer nur das Mitleid in Frage: „Denn gränzenloses Mitleid mit allen lebenden
Wesen ist der festeste und sicherste Bürge für das sittliche Wohlverhalten und
bedarf keiner Kasuistik" (Schopenhauer 1873-1874, 4/2, 236), vgl. Die Welt als
Wille und Vorstellung, Bd. 1, Buch 4, § 67: „Was daher auch Güte, Liebe und
 
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