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Stellenkommentar GM Vorrede 8, KSA 5, S. 255 85

lautet demgegenüber: „Aphorismen (griech.), abgerissene, untereinander nicht
in unmittelbarem Zusammenhang stehende Sätze, welche allgemein menschli-
che Wahrheiten enthalten; im engern Sinn kurze, unverbundene Lehrsätze ei-
ner Wissenschaft. Aphoristische Schreibweise, eine prägnante, abgebrochene,
der stilistischen Verbindung ermangelnde Ausdrucksweise." (Meyer 1885-1892,
1, 677 f.) Nach eigenem Anspruch unternehmen N.s einschlägige Werke eine
Repotenzierung des Aphorismus durch Verrätselung. Die Eingängigkeit gilt nur
noch als eine scheinbare, als ein täuschendes Oberflächenphänomen, das auf
den zweiten Blick zur eindringlichen und tiefgrabenden Beschäftigung verfüh-
ren soll. Vgl. auch Pichler 2014, 118-123. Bemerkenswert ist, dass in GM Vorre-
de 8 über die Kunst des Aphorismus reflektiert wird, obwohl die Schrift als
ganze nach nicht zu N.s sogenannten Aphorismenbüchern gehört, sondern aus
drei Abhandlungen besteht, deren dritte nun dezidiert als Aphorismus-Ausle-
gung figuriert. Tatsächlich überlagert der Aphorismus die Abhandlungsgestalt,
insofern GM eine systematische Schließung konsequent vermeidet. Es handelt
sich dabei eher um drei aphoristische Abhandlungen.
Die Fügung „Kunst der Auslegung" ist in N.s Werken und Nachlass nur
hier belegt; im 19. Jahrhundert ist sie als Synonym für die Hermeneutik recht
geläufig. In den N. seit Studien- und Professorentagen wohlbekannten Grundli-
nien zur Encyklopädie der Philologie von Gottfried Bernhardy (vgl. Benne 2005,
69) „ruht" diese „Kunst der Auslegung [...] daher in Momenten einer histori-
schen Kette, welche vorwärts weisen: denn ihr einfacher Sinn ([...]) ist dieser,
das geistige Dasein des Alterthums in seinen Schriften und
schriftlichen Denkmälern ausgeprägt zu geniessen, zur An-
schauungund in das Selbstbewusstsein zu rufen, ihre Metho-
dik aber, vom kleinsten und hypothetischen ausgehend und
in der Ausscheidung fremden Vorurtheils oder halber Mei-
nung geübt zur eigenen Erkenntniss des Antiken aufzustei-
gen." (Bernhardy 1832, 73) Galt dem klassischen Philologen die Antike als
würdiger Gegenstand einer Auslegungskunst, um damit aber dann doch vor-
wärts zu greifen, erklärt die Sprecherinstanz von GM Vorrede 8 die eigenen
Schriften zu einem solchen und womöglich ausschließlichen Gegenstand. Die
in GM Vorrede 8 erhobene Forderung nach langsamem, genauem Lesen steht
in der Tradition der Philologie, die die zeitraubende, „lectio statuaria" zu ei-
nem wichtigen Gebot erhoben hatte, siehe Danneberg 2007, 119 sowie Steg-
maier 2012, 71-75 und Westerdale 2013, 16-18. Miklowitz 1999 betont die Ironie,
die in der Aufforderung vom GM Vorrede 8 liege, die hier thematisierte eigene
Art der „Auslegung" nachzuahmen: N. habe doch gerade keine Nachahmer
gewollt, während Hoy 1994, 253 mutmaßt, N. habe seinen eigenen aphoristi-
schen Stil entwickelt, „because it requires readers to practice the genealogical
 
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