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Stellenkommentar GM 1 3, KSA 5, S. 260 101

FW 328 sowie N.s Brief an Lou von Salome vom 08. 09. 1882: „Das Ichgefühl
des Einzelnen der Heerde, ebenso wie sein Gewissensbiß als Heerden-
Gewissensbiß ist außerordentlich schwer mit der Phantasie zu erfas-
sen — und ganz und gar nicht nur zu erschließen. Die größte Bestätigung mei-
ner Heerden-Instinkt-Theorie gab mir jüngst das Nachdenken über die Entste-
hung der Sprache." (KSB 6/KGB III 1, Nr. 298, S. 252, Z. 32-37) Für GM war auch
eine eigene Abhandlung über den Heerdeninstinkt in Planung - „dasselbe
mußte einstweilen, als zu umfänglich, bei Seite gelassen werden" (N. an Over-
beck, 04. 01. 1888, KSB 8/KGB III 5, Nr. 971, S. 224, Z. 8-10). Bemerkenswert
ist, dass das Wort „Heerdeninstinkt" kurz nach der Publikation von FW in
Hans von Wolzogens Schrift Die Religion des Mitleidens und die Ungleichheit
der menschlichen Racen, von der N. einen Separatdruck besessen hatte (Wolzo-
gen 1883a, vgl. z. B. NK KSA 5, 67, 3-7), zu finden war. Es heißt dort, zitiert
nach der in den Bayreuther Blättern erschienenen Version: „Der Gewinn der
Sprache und der Gewinn der Gottesvorstellung! - Der Gewinn des
Feuers und der Gewinn des Werkzeugs! - Alle diese grossen Urkultur-
schöpfungen verbinden den Menschen mit dem Menschen; sie tragen in ihrem
Wesen ein friedliches Element der /113/ Versippung, der gegenseitigen Hilfe-
leistung, der Beförderung des Gemeindegefühles über den thierischen Heer-
deninstinkt hinaus." (Wolzogen 1883b, 112 f.) Die Pointe beim Berufswagneria-
ner Wolzogen ist es also gerade, dass der Mensch u. a. mit Sprache den als
tierisch qualifizierten Herdeninstinkt stammesgeschichtlich überwunden hat,
während er sich bei N. unter ausgewachsenen Hominini erst recht bemerkbar
macht. Vgl. auch NK 366, 29 f.
260, 17-21 (wie dies zum Beispiel im gegenwärtigen Europa der Fall ist: heute
herrscht das Vorurtheil, welches „moralisch", „unegoistisch", „desinteresse" als
gleichwerthige Begriffe nimmt, bereits mit der Gewalt einer „fixen Idee" und
Kopfkrankheit)} Zum zeitgenössischen Kontext und zur Entwicklung von N.s
Kritik am „Uninteressierten" siehe ausführlich NK KSA 6, 133, 28-30, zu der im
späten 19. Jahrhundert popularisierten psychiatrischen Konzeption der idee
fixe oder „fixen Idee" siehe NK 295, 32-296, 5 u. NK KSA 6, 230, 19 f. (mit Quel-
lenauszügen). Der Ausdruck „Kopfkrankheit" ist bei N. ein Hapax legomenon,
der auch in der zeitgenössischen medizinischen Literatur wenig gebräuchlich
ist. Stattdessen verwendet ihn beispielsweise Heinrich Zimmer bei der Wieder-
gabe arischer Zauberformeln aus dem Alten Indien (Zimmer 1879, 378).
3.
GM I 3 macht auf die Widersprüchlichkeit der in GM I 2 postulierten moralhisto-
rischen These (die Ree 1877 vorgebracht hat, vgl. NK 258, 29-259, 4) aufmerk-
 
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