Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Stellenkommentar GM I 6, KSA 5, S. 265-266 129

gen, dass Fakire sich selbsthypnotisch in einen winterschlafähnlichen Starre-
zustand (vgl. NK 379, 16-21) zu versetzen verstünden (Braid 1882, 43-93, vgl.
Preyer 1881, 67), und hat sich dann etwa in Eduard von Hartmanns Buch Das
religiöse Bewusstsein der Menschheit von 1882 zu einem hinduismuskritischen
Topos verselbstständigt: „Unbewegt und schweigend, ohne zu sehen, zu hö-
ren, zu fühlen, zu wollen, zu denken, sitzt oder steht der nach der Einswerdung
(Joga) Strebende (Jogi), versunken in das leere Nichts seines inhaltlosen Be-
wusstseins und meint, auf diese Weise das ihm immanente Brahma aus dem
maya-umstrickten in den mayafreien Zustand überzuführen. Ob er sich gegen
Ablenkungen von aussen dadurch zu sichern sucht, dass er auf seine Nasen-
spitze schielt, oder geblendet in die Sonne start, erscheint uns gleichgültig;
solche Rathschläge gehören ebenso wie das Murmeln der heiligen Silben Om
oder Aum (= avam = jenes, d. h. Brahma) erst zu den äusserlichen Vorbereitun-
gen des innerlich herzustellenden Zustandes und können nach heutiger Auf-
fassung, wenn sie überhaupt eine psychologische Wirkung haben, nur eine
Art von Hypnotismus herbeiführen, d. h. einen Zustand völliger Passivität des
Bewusstseins, welcher jede Spontaneität ausschliesst und nur automatenähnli-
che Reflexfunktionen übrig lässt. Das Anhalten, oder genauer gesprochen das
winterschlafähnliche Verlangsamen des Athmens in Verbindung mit dem all-
mählichen Aufhören der Nahrungsaufnahme ist nicht bloss letzte Konsequenz
der Einstellung aller Thätigkeit, sondern auch zugleich Symbol des völligen
Aufgebens der Selbstheit und des Eigenlebens" (Hartmann 1882, 292).
Das Wort „Brahman" (vgl. aber NK KSA 6, 184, 31) benutzt N. hier im Sinne
von Deussen 1883, 51: „Wir wiesen bereits darauf hin, wie die Inder, ausgehend
von einem Cultus personificierter Naturmächte, die Centralkraft aller Kräfte in
der Natur, das schaffende und tragende Princip aller Götter und aller Welten
in jener Erhebung des Gemüts über das Bewusstsein der individuellen Existenz
hinaus, welche beim Gebete stattfindet, d. h. in dem Brahman erkannten, ein
Wort, welches noch im ganzen Rigveda nie etwas anderes, als die erhebende
und begeisternde Kraft des Gebets bedeutet" (vgl. ebd., 18). N. kombiniert den
religiösen Begriff des „Brahman" mit dem damals populären, psychiatrischen
Begriff der „fixen Idee" (vgl. NK 295, 32-296, 5), um die Krankhaftigkeit des
selbsthypnotisch-priesterlichen Bemühens herauszustellen - der Fakir gilt
weithin als Inbegriff des Selbstquälers (vgl. z. B. Spencer 1879, 31). Löwenfeld
1887, 91 hält es nicht für angeraten, Hypnose therapeutisch einzusetzen; bei
Nervenschwäche könne sie kontraproduktiv wirken.
266, 1-4 nur zu begreifliche allgemeine Satthaben mit seiner Radikalkur, dem
Nichts (oder Gott: — das Verlangen nach einer unio mystica mit Gott ist das
Verlangen des Buddhisten in's Nichts, Nirväna — und nicht mehr!)] Im Druckma-
nuskript stand ursprünglich stattdessen „allgemeine Satthaben und Verlangen
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften