Stellenkommentar GM I 7, KSA 5, S. 266 135
Abstrich, den N. selbst in seiner Beschreibung in GM I nicht zu machen bereit
ist: Archaisch-vornehme Moral ist eine Moral weitgehend ungezügelter Gewalt-
samkeit. Fossen 2008, 317 merkt an, dass die in der Forschung gemeinhin für
eine politisch-aristokratische Deutung N.s herangezogenen Texte wie GM I 7
keine Verteidigung politischer Aristokratie enthalten und schlägt daher vor,
N.s eigene Präferenz als ethischen Aristokratismus zu charakterisieren. Tat-
sächlich artikuliert GM I 7 bei aller offenkundigen Sympathie des Sprechers für
die „ritterlich-aristokratischen Werthurtheile" im Gegensatz zu den priester-
lichen keinerlei Rückkehroption zu diesen „ritterlich-aristokratischen Werth-
urtheilen". Ein aristokratischer Neoarchaismus ist nicht N.s Programm, son-
dern die Projektion postumer Nietzscheaner.
266, 30-32 Die Priester sind, wie bekannt, die bösesten Feinde — weshalb
doch? Weil sie die ohnmächtigsten sind} Die Behauptung, dass die Priester ohn-
mächtig seien, bleibt in GM I 7 unbewiesen und wirkt auch vor dem Hinter-
grund von GM I 6 nur bedingt plausibel, wo die „Priester" als eine ursprüngli-
che Aristokratie behandelt werden, deren Lebensform zwar problembehaftet,
aber beileibe nicht mit Ohnmacht geschlagen ist. Die nebenher eingeführte
Prämisse von der Ohnmacht der Priester ist für die nachfolgende Argumentati-
on fundamental, wird aber selbst nicht an historischem Material plausibilisiert.
Hellwald war in seiner Culturgeschichte, die N. sich am 13. 05. 1887 aus der
Bibliothek in Chur entliehen hatte, sogar tief in die menschliche Urgeschichte
hinabgestiegen, um nachzuweisen, dass die Priester sehr bald nicht mehr ohn-
mächtig gewesen seien: Schon in der „Urzeit" habe es Sklaven gegeben,
,,[d]enn die Sclaverei ist so alt wie das Menschenthum, auf die natürliche Un-
gleichheit der physischen Kräfte ursprünglich gegründet" (Hellwald 1876a-
1877a, 1, 77). Mit GM I 7 lassen sich zunächst Hellwalds weitere Behauptung
durchaus zur Deckung bringen: „Die physische Macht war die erste Aristokra-
tie, d. h. die Macht hat stets geherrscht; da es in der Urzeit eine andere als
die physische Macht nicht gab, so knüpfte auch an diese sich die Herrschaft.
[...]. Von Natur aus arbeitet der Mensch eben so wenig als das Thier, die Arbeit
erscheint ihm eine Last, von der Nothwendigkeit ihm aufgezwungen, deren er
sich wo thunlich zu entledigen trachtet. Der Starke wälzt sie auf den Schwa-
chen eben kraft des Rechts des Stärkeren, welches herrscht und herrschen
wird, herrschen muss in der organischen wie in der anorganischen Natur. Ist
doch das Gesetz der Attraction, das den Weltenbau zusammenhält, nichts an-
deres als das Recht des Stärkeren übersetzt in's anorganische Reich! Das
Recht des Stärkeren ist ein Naturgesetz." (Ebd.) Dann aber wird mit
der Verfügung über das Feuer alles anders: Diese Verfügung wurde als „Magie,
Zauberei" wahrgenommen, „der Feuerentzünder [als] Zauberer. Mit Einem
Rucke waren dadurch die urgeschichtlichen Sclaven in den Besitz der Herr-
Abstrich, den N. selbst in seiner Beschreibung in GM I nicht zu machen bereit
ist: Archaisch-vornehme Moral ist eine Moral weitgehend ungezügelter Gewalt-
samkeit. Fossen 2008, 317 merkt an, dass die in der Forschung gemeinhin für
eine politisch-aristokratische Deutung N.s herangezogenen Texte wie GM I 7
keine Verteidigung politischer Aristokratie enthalten und schlägt daher vor,
N.s eigene Präferenz als ethischen Aristokratismus zu charakterisieren. Tat-
sächlich artikuliert GM I 7 bei aller offenkundigen Sympathie des Sprechers für
die „ritterlich-aristokratischen Werthurtheile" im Gegensatz zu den priester-
lichen keinerlei Rückkehroption zu diesen „ritterlich-aristokratischen Werth-
urtheilen". Ein aristokratischer Neoarchaismus ist nicht N.s Programm, son-
dern die Projektion postumer Nietzscheaner.
266, 30-32 Die Priester sind, wie bekannt, die bösesten Feinde — weshalb
doch? Weil sie die ohnmächtigsten sind} Die Behauptung, dass die Priester ohn-
mächtig seien, bleibt in GM I 7 unbewiesen und wirkt auch vor dem Hinter-
grund von GM I 6 nur bedingt plausibel, wo die „Priester" als eine ursprüngli-
che Aristokratie behandelt werden, deren Lebensform zwar problembehaftet,
aber beileibe nicht mit Ohnmacht geschlagen ist. Die nebenher eingeführte
Prämisse von der Ohnmacht der Priester ist für die nachfolgende Argumentati-
on fundamental, wird aber selbst nicht an historischem Material plausibilisiert.
Hellwald war in seiner Culturgeschichte, die N. sich am 13. 05. 1887 aus der
Bibliothek in Chur entliehen hatte, sogar tief in die menschliche Urgeschichte
hinabgestiegen, um nachzuweisen, dass die Priester sehr bald nicht mehr ohn-
mächtig gewesen seien: Schon in der „Urzeit" habe es Sklaven gegeben,
,,[d]enn die Sclaverei ist so alt wie das Menschenthum, auf die natürliche Un-
gleichheit der physischen Kräfte ursprünglich gegründet" (Hellwald 1876a-
1877a, 1, 77). Mit GM I 7 lassen sich zunächst Hellwalds weitere Behauptung
durchaus zur Deckung bringen: „Die physische Macht war die erste Aristokra-
tie, d. h. die Macht hat stets geherrscht; da es in der Urzeit eine andere als
die physische Macht nicht gab, so knüpfte auch an diese sich die Herrschaft.
[...]. Von Natur aus arbeitet der Mensch eben so wenig als das Thier, die Arbeit
erscheint ihm eine Last, von der Nothwendigkeit ihm aufgezwungen, deren er
sich wo thunlich zu entledigen trachtet. Der Starke wälzt sie auf den Schwa-
chen eben kraft des Rechts des Stärkeren, welches herrscht und herrschen
wird, herrschen muss in der organischen wie in der anorganischen Natur. Ist
doch das Gesetz der Attraction, das den Weltenbau zusammenhält, nichts an-
deres als das Recht des Stärkeren übersetzt in's anorganische Reich! Das
Recht des Stärkeren ist ein Naturgesetz." (Ebd.) Dann aber wird mit
der Verfügung über das Feuer alles anders: Diese Verfügung wurde als „Magie,
Zauberei" wahrgenommen, „der Feuerentzünder [als] Zauberer. Mit Einem
Rucke waren dadurch die urgeschichtlichen Sclaven in den Besitz der Herr-