156 Zur Genealogie der Moral
auch statt ,gut oder schlecht sich befinden' zu sagen ,gut oder schlecht ma-
chen' - EUoder KaKwq npötTTEiv -. Diese Gewohnheit, zu welcher die uns ge-
läufige Frage, was jemand mache, nur eine unvollkommene Analogie bietet,
verdient um so höhere Aufmerksamkeit, da Aristoteles sie bei der Bestimmung
der Glückseligkeit im ersten Buche der nikomachischen Ethik zu der Andeu-
tung verwerthet, dass diese nicht als unthätig gedacht werden kann (to ö'ev
@ KOLL TO EU npÖlTTELV TUVTOV VnOÄapßdvOVOt TW EVÖaipOVELV 1095al9. OVVaÖEL
de TW Aoyw Kai to ev ffiv Kai to ev npöiTTEiv töv Evöaipova 1098b20), einer
Andeutung, die durch das noch unverkennbarer hervortritt, was er weiterhin
über das zur Glückseligkeit gehörige Lebensgefühl als ein nothwendig thätiges
sagt (npd^EL yap g dvayKrß Kai ev npdfet 1099a3). Alle diese Momente muss
man gegenwärtig haben um die vielfache Vermischung der Begriffe des un-
glücklichen und des schlechten in der griechischen Sprache ganz zu verste-
hen." (Schmidt 1882b, 1, 369) An diesen Passus schließt sich unmittelbar jene
Stelle an, aus der N. seine Informationen zum Wort ÖEiÄög schöpfte, vgl.
NK 263, 12-15. Während sich Schmidt mit seinem ausdrücklichen Bezug auf
Aristoteles bereits im nachsokratischen und nachplatonischen Griechenland
bewegt, also in einer Zeit, die bei N. gewöhnlich unter Dekadenzverdacht steht,
verwischt die Übernahme in GM I 10 diesen klaren zeitlichen Index und lässt
offen, über welche Griechen und welche griechische Vornehmheit hier eigent-
lich gesprochen wird.
272, 20-25 Alles sehr im Gegensatz zu dem „Glück" auf der Stufe der Ohnmäch-
tigen, Gedrückten, an giftigen und feindseligen Gefühlen Schwärenden, bei denen
es wesentlich als Narcose, Betäubung, Ruhe, Frieden, „Sabbat", Gemüths-Aus-
spannung und Gliederstrecken, kurz passivisch auftritt} Dass der „Sabbat der
Sabbate" das auf Aktivitätsverzicht angelegte Glücksziel der Christen sei, will
JGB 200 anhand von Augustinus belegen, siehe NK KSA 5, 121, 3-5. Orsucci
1996, 302 sieht in 272, 20-25 eine Stelle aus Ernest Renans Les Apötres nach-
klingen, die sich mit der Verbreitung jüdischer Lebensformen im Römischen
Reich beschäftigt und im Satz gipfelt: „Le sabbat, du reste, s'imposait par une
sorte de necessite dans les quartiers oü il y avait des juifs. Leur obstination
absolue ä ne pas ouvrir leurs boutiques ce jour-lä forgait bien les voisins ä
modifier leurs habitudes en consequence." (Renan 1866, 295. „Der Sabbat wur-
de außerdem zu einer Art Notwendigkeit in den Stadtvierteln, in denen es Ju-
den gab. Ihre absolute Hartnäckigkeit, ihre Geschäfte an diesem Tag nicht zu
öffnen, zwang die Nachbarn dazu, ihre Gewohnheiten entsprechend zu än-
dern.")
272, 26-28 (yevvaioc, „edelbürtig" unterstreicht die nuance „aufrichtig" und
auch wohl „naiv")] Griechisch: „von Menschen: edel, nach Geburt u. Gesin-
auch statt ,gut oder schlecht sich befinden' zu sagen ,gut oder schlecht ma-
chen' - EUoder KaKwq npötTTEiv -. Diese Gewohnheit, zu welcher die uns ge-
läufige Frage, was jemand mache, nur eine unvollkommene Analogie bietet,
verdient um so höhere Aufmerksamkeit, da Aristoteles sie bei der Bestimmung
der Glückseligkeit im ersten Buche der nikomachischen Ethik zu der Andeu-
tung verwerthet, dass diese nicht als unthätig gedacht werden kann (to ö'ev
@ KOLL TO EU npÖlTTELV TUVTOV VnOÄapßdvOVOt TW EVÖaipOVELV 1095al9. OVVaÖEL
de TW Aoyw Kai to ev ffiv Kai to ev npöiTTEiv töv Evöaipova 1098b20), einer
Andeutung, die durch das noch unverkennbarer hervortritt, was er weiterhin
über das zur Glückseligkeit gehörige Lebensgefühl als ein nothwendig thätiges
sagt (npd^EL yap g dvayKrß Kai ev npdfet 1099a3). Alle diese Momente muss
man gegenwärtig haben um die vielfache Vermischung der Begriffe des un-
glücklichen und des schlechten in der griechischen Sprache ganz zu verste-
hen." (Schmidt 1882b, 1, 369) An diesen Passus schließt sich unmittelbar jene
Stelle an, aus der N. seine Informationen zum Wort ÖEiÄög schöpfte, vgl.
NK 263, 12-15. Während sich Schmidt mit seinem ausdrücklichen Bezug auf
Aristoteles bereits im nachsokratischen und nachplatonischen Griechenland
bewegt, also in einer Zeit, die bei N. gewöhnlich unter Dekadenzverdacht steht,
verwischt die Übernahme in GM I 10 diesen klaren zeitlichen Index und lässt
offen, über welche Griechen und welche griechische Vornehmheit hier eigent-
lich gesprochen wird.
272, 20-25 Alles sehr im Gegensatz zu dem „Glück" auf der Stufe der Ohnmäch-
tigen, Gedrückten, an giftigen und feindseligen Gefühlen Schwärenden, bei denen
es wesentlich als Narcose, Betäubung, Ruhe, Frieden, „Sabbat", Gemüths-Aus-
spannung und Gliederstrecken, kurz passivisch auftritt} Dass der „Sabbat der
Sabbate" das auf Aktivitätsverzicht angelegte Glücksziel der Christen sei, will
JGB 200 anhand von Augustinus belegen, siehe NK KSA 5, 121, 3-5. Orsucci
1996, 302 sieht in 272, 20-25 eine Stelle aus Ernest Renans Les Apötres nach-
klingen, die sich mit der Verbreitung jüdischer Lebensformen im Römischen
Reich beschäftigt und im Satz gipfelt: „Le sabbat, du reste, s'imposait par une
sorte de necessite dans les quartiers oü il y avait des juifs. Leur obstination
absolue ä ne pas ouvrir leurs boutiques ce jour-lä forgait bien les voisins ä
modifier leurs habitudes en consequence." (Renan 1866, 295. „Der Sabbat wur-
de außerdem zu einer Art Notwendigkeit in den Stadtvierteln, in denen es Ju-
den gab. Ihre absolute Hartnäckigkeit, ihre Geschäfte an diesem Tag nicht zu
öffnen, zwang die Nachbarn dazu, ihre Gewohnheiten entsprechend zu än-
dern.")
272, 26-28 (yevvaioc, „edelbürtig" unterstreicht die nuance „aufrichtig" und
auch wohl „naiv")] Griechisch: „von Menschen: edel, nach Geburt u. Gesin-