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Stellenkommentar GM I 11, KSA 5, S. 274 163

Zentrum die berüchtigte Formulierung über „die prachtvolle nach Beute und
Sieg lüstern schweifende blonde Bestie" (275, 10 f.) steht, handelt nun von
den Grausamkeiten der gegen außen entfesselten Vornehmen, während sie un-
ter Ihresgleichen „in Schranken" (274, 26) gesperrt blieben. Entsprechend
könnte Kultur geradezu als Versuch erscheinen, die Macht der menschlichen
Raubtiere zu brechen und sie zu zähmen. Das Ende von GM I 11 verlässt den
historischen Erzählbogen und läuft in eine düster gehaltene Gegenwartskritik
aus, der zufolge „wir" mittlerweile in einem Zeitalter der vollständigen Zäh-
mung angelangt seien, konfrontiert mit lauter Mittelmäßigkeit und allgemei-
nem Niedergang. Dies lässt das „Wir" zwar nicht eigentlich die „blonde Bestie"
zurückwünschen, aber doch „die Furcht" (277, 4 u. 12) vor ihr, vor der Gefähr-
lichkeit des Menschen - eine Furcht, die offenbar stimulierend wirken soll.
Texte wie GM I 11 haben sozialistische Ausleger empört: „Er [sc. N.] wollte
eine neue Kultur - aber auf der Grundlage einer ,ewigen Wiederkehr' von Bar-
barei. Denn die Ausbeutung des Menschen war für Friedrich Nitzsche [sic] die
natürliche, die wiederherzustellende Vorbedingung für Kultur. [...] Dieser
Nietzsche, der scheinbare Überwinder der Dekadenz und des Nihilismus, liefer-
te dem Machtstreben des Imperialismus und des Faschismus gefährliche Stich-
worte." (Autorenkollektiv 1987, 515) So schaffte er es aber immerhin in eine
orthodox marxistische Übersichtsdarstellung Deutsche Geschichte von den An-
fängen bis zur Gegenwart: Mit N., der „die Arbeiterbewegung zum Hauptfeind"
erkläre, habe sich „auf dem Gebiet der Ideologie" „der Übergang zum Imperia-
lismus" vollzogen (Streisand 1972, 234). Demgegenüber argumentieren poli-
tisch zahmere Interpreten wie beispielsweise May 1999, 49, „Nietzsche's ideal
of man" könne nicht mit den mörderischen Gewaltmenschen zusammenge-
bracht werden, von denen GM I 11 allerdings deutlich fasziniert berichte. Viel-
mehr gehe es N. darum, sklavische Tendenzen in sich selbst zu bekämpfen
und sich zur Ganzheit hin zu disziplinieren.
274, 6-9 Gerade umgekehrt also wie bei dem Vornehmen, der den Grundbegriff
„gut" voraus und spontan, nämlich von sich aus concipirt und von da aus erst
eine Vorstellung von „schlecht" sich schafft] Diese Überlegung schließt an Leo-
pold Schmidts Ethik der alten Griechen an (Schmidt 1882b, 1, 323), vgl. NK 261,
18-262, 4.
274, 10 aus dem Braukessel des ungesättigten Hasses] Den Ausdruck „Braukes-
sel" verwendet N. ansonsten nur noch in UB III SE 4. Diese Stelle, die von den
wilden, ungezügelten „Kräften" in der Gegenwart handelt, macht den Assozia-
tionshorizont klar: „Man sieht mit banger Erwartung auf sie hin wie in den
Braukessel einer Hexenküche" (KSA 1, 367, llf.). In der berühmten Hexenkü-
chen-Szene in Goethes Faust I (Verse 2425, 2467 u. Szenenanweisungen) ist
allerdings nicht von „Braukessel", sondern nur von „Kessel" die Rede.
 
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