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Stellenkommentar GM I 11, KSA 5, S. 275-276 171

NK 263, 26-31) hält trotz seiner paläoanthropologischen Erkenntnisse fest, dass
„in gewissen Hauptzügen die Verteilung der Volkseigenschaften in Mitteleuro-
pa, speziell in Deutschland" „verhältnismäßig modernen Ursprunges" sei
(Ranke 1887, 2, 262). Poesche 1878, 43 hingegen zeigt sich immerhin im Blick
auf die Einzelnen zuversichtlicher: Zwar gebe es „schon seit Jahrtausenden so
gut wie keine durch und durch homogenen Völker mehr, wohl aber noch ge-
nug Individuen in jedem Volk, welche den Racen-Charakter ihres Volkes rein
darstellen". Die Vieldeutigkeit und scheinbare Widersprüchlichkeit der zu-
nächst verherrlichenden und gleich wieder wissenschaftlich relativierten Be-
zugnahmen auf die Germanen in GM I 11 erörtert Orsucci 1996, 345 f. Die kriti-
sche Spitze in 276, 3-5 gegen moderne ,Deutsche' ist unübersehbar.
276, 5-19 Ich habe einmal auf die Verlegenheit Hesiod's aufmerksam gemacht,
als er die Abfolge der Cultur-Zeitalter aussann und sie in Gold, Silber, Erz auszu-
drücken suchte: er wusste mit dem Widerspruch, den ihm die herrliche, aber
ebenfalls so schauerliche, so gewaltthätige Welt Homer's bot, nicht anders fertig
zu werden, als indem er aus Einem Zeitalter zwei machte, die er nunmehr hinter
einander stellte — einmal das Zeitalter der Helden und Halbgötter von Troja und
Theben, so wie jene Welt im Gedächtniss der vornehmen Geschlechter zurückge-
blieben war, die in ihr die eignen Ahnherrn hatten; sodann das eherne Zeitalter,
so wie jene gleiche Welt den Nachkommen der Niedergetretenen, Beraubten,
Misshandelten, Weggeschleppten, Verkauften erschien: als ein Zeitalter von Erz,
wie gesagt, hart, kalt, grausam, gefühl- und gewissenlos, Alles zermalmend und
mit Blut übertünchend.] Die entsprechende Schilderung über das erzerne (bron-
zene) und schließlich das (eigentlich metallose) eherne (eiserne) Zeitalter fin-
det sich bei Hesiod: Werke und Tage, Verse 143-173 (Hesiod 1865, 64). Auf die
„Verlegenheit Hesiod's" aufmerksam gemacht wurde (eine knappe Notiz in
NL 1880, KSA 9, 7[63], 330 aufgreifend) in M 189 nach Erörterungen darüber,
dass das Urteil über die Güte oder Bösartigkeit eines Machtgefühls davon ab-
hängt, ob man es selbst empfindet und ausagiert oder aber sein Objekt und
Opfer ist: „Hesiod hat in der Fabel von den Menschenaltern das selbe Zeitalter,
das der homerischen Helden, zweimal hinter einander gemalt und zwei aus
einem gemacht: von Denen aus gesehen, welche unter dem ehernen, entsetz-
lichen Druck dieser abenteuernden Gewaltmenschen standen oder durch ihre
Vorfahren davon wussten, erschien es böse: aber die Nachkommen dieser rit-
terlichen Geschlechter verehrten in ihm eine gute alte, selig-halbselige Zeit.
Da wusste sich der Dichter nicht anders zu helfen, als er gethan hat, — er
hatte wohl Zuhörer beider Gattungen um sich!" (M 189, KSA 3, 162, 19-29) Die
rezeptionsästhetische Erklärung aus M 189, wonach diese Doppelung auf dem
Bedürfnis eines heterogenen Publikums beruht, entfällt in GM I 11; jetzt ent-
steht eher der Eindruck eines inneren Zwiespalts des Dichters („er wusste mit
 
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