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Stellenkommentar GM I 11, KSA 5, S. 276-277 175

der schwarzen und gelben Rage ist möglicherweise beschieden, zum mehr oder
minder selbständigen Werkzeug der Cultur unter einer langen Vormundschaft
der weißen Culturvölker erzogen zu werden." ([Rößler] 1860, 27) GM I 11 be-
zieht sich also auf die gängige Formel vom „Werkzeug der Kultur" und erklärt
nun versuchsweise die reaktiven Instinkte dazu - um gleich im Folgenden dar-
zutun, dass eine mit solchen Mitteln zuwege gebrachte Kultur ihren Namen
nicht verdiene. Allerdings wird dies nur festgemacht am Missbehagen der
„Wir", die „am Menschen" der Gegenwart „leiden" (277, 11), weil sie da den
widerlichen Pöbel obenauf gekommen sehen: „Gewürm ,Mensch"' (277, 13) lau-
tet der Gegenwartsbefund; weit und breit keine „blonden Bestien" mehr, die
marodierend und mordend durch die Zivilisation streifen. Das „Wir" verwendet
einige rhetorische Mühe darauf, die Leser das als Verlust und Niedergang emp-
finden zu lassen.
Zu den „Werkzeugen der Cultur" siehe auch Wotling 2008, 43; Vidal Mayor
2006, 199 (im Vergleich mit Adorno); Schank 2000, 48 (im Blick auf Rassen-
theorien) und Zanetti 2000, 310 (im Blick auf Sprache als Kulturerzeugnis).
276, 30-34 Diese Träger der niederdrückenden und vergeltungslüsternen Ins-
tinkte, die Nachkommen alles europäischen und nicht europäischen Sklaven-
thums, aller vorarischen Bevölkerung in Sonderheit — sie stellen den Rückgang
der Menschheit dar!] Vgl. NK 263, 33-264, 2 und NK 277, 19 f. Die Hypothese
von einer vorarischen Bevölkerung in Europa und Deutschland wird in GM I 5
vorgeblich in Auseinandersetzung mit Virchow entwickelt; seine eigentliche
Quelle war aber wohl der zweite, über die Menschenrassen handelnde Band
von Johannes Rankes Werk Der Mensch (1887), vgl. NK 263, 31-33.
276, 34-277, 2 Diese „Werlczeuge der Cultur" sind eine Schande des Menschen,
und eher ein Verdacht, ein Gegenargument gegen „Cultur" überhaupt!] Vgl.
NK 276, 19-30.
277, 3 f. blonden Bestie] Im Druckmanuskript stand diese Wendung ursprüng-
lich in von N. dann wieder gestrichenen Anführungszeichen (GSA 71/27,1, fol.
13r).
277, 9-13 Und ist dass nicht unser Verhängniss? Was macht heute unsern
Widerwillen gegen „den Menschen" — denn wir leiden am Menschen, es ist kein
Zweifel. — Nicht die Furcht; eher, dass wir Nichts mehr am Menschen zu fürch-
ten haben] Das „Wir", das am Ende von GM I 11 bekenntnishaft seinen Wider-
willen kundtut - ähnlich dann am Ende von GM I 12 -, ist ein exklusorisches
„Wir", das die meisten Gegenwartsmenschen, die sich mit ihrer Zeit arrangiert
haben, ausschließt. „Wir" wünschen „uns" jedoch entgegen der ersten Vermu-
tung nicht die „blonde Bestie" zurück, sondern „die Furcht" (277, 4), die man
 
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