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184 Zur Genealogie der Moral

„Subjekt" (279, 19) oder „Substrat" (279, 25) anzunehmen. Vor ähnlichen Prob-
lemlagen stand JGB 17, als es um die Frage nach dem Subjekt des Denkens ging
(vgl. NK KSA 5, 31, 5-12), und JGB 54 angesichts der bloßen Existenz von Sub-
jekt und Seele (vgl. NK KSA 5, 73, 22-28). Auch Nachlassaufzeichnungen krei-
sen immer wieder um die Subjektkritik, die sich einerseits naturwissenschaft-
lich, andererseits sprachphilosophisch aufmunitioniert: „Das Prädikat drückt
eine Wirkung aus, die auf uns hervorgebracht ist (oder werden 'könnte)' /
nicht das Wirken an sich; die Summe der Prädikate wird in Ein Wort / zusam-
mengefaßt. Irrthum, daß das Subjekt causa sei. — Mythologie des Subjekt-
Begriffs, (der ,Blitz' leuchtet — Verdoppelung — die Wirkung ver-/dinglicht. /
Mythologie des Causalitäts-Begriffs. / Trennung von ,Wirken' und Wirkendem'
grundfalsch." (KGW IX 5, W I 8, 135, 23-33, vgl. NL 1885-1886, KSA 12, 2[78],
98, 25-99, 2) In GD Die „Vernunft" in der Philosophie 5, KSA 6, 77 f. wird die
Kritik an dem in den indogermanischen Sprachen vorherrschenden Subjekt-
Prädikat-Schema, das zur ontologisch falschen Annahme eines Subjekts führe,
ebenso ausgebaut wie in GD Die vier großen Irrthümer 3, KSA 6, 91 die Kritik
daran, dass man ein Sein aus dem Geschehen extrahieren zu können meint(e).
Diese fundamentalen Anfragen gegen landläufige Ontologien sind womög-
lich inspiriert von Julius Bahnsens „Realdialektik" (vgl. Jensen 2016, 113 f.),
aber auch dezidiert gegen Drossbach 1884, 3 gerichtet: „Das Bewegen ist etwas
anderes als die Bewegung, das Handeln etwas anderes als die Handlung, die
Handlung handelt nicht, die Bewegung bewegt nicht, der Druck drückt nicht,
der Schlag kann nicht schlagen, das Licht leuchtet nicht, der Ton tönt nicht
u. s. w. Man kann die Bewegung und das Bewegen, die Wirkung und das Wir-
ken nicht identificiren, es ist ein Widerspruch, die Bewegung als ein Bewegen,
die Handlung als ein Handeln zu setzen". In GM I 13 dienen jene Einwände der
Entmachtung des sklavenmoralischen Anspruchs an die Adresse der Herren,
sie mögen sich selbst, ihre Stärke doch bitte zurücknehmen, wozu sie als freie
Subjekte auch imstande seien. Sie sind, so die Pointe, eben nicht dazu in der
Lage, weil sie offenbar nur die Manifestationen eines Geschehens sind, gegen
das sie keinen Eigenwillen, keine Widerstandskraft besitzen. Eine seltsame
Stärke, so wird mancher Skeptiker einwenden, die nicht einmal stark genug
ist, sich selbst im Zaume zu halten. Entsprechend ist etwa für Pippin 2004 das
Grundproblem von GM I 13, wie die Entmachtung des Subjekts mit dem Begriff
der Verantwortlichkeit zusammengehen kann, die N. ansonsten den Vorneh-
men zuschreibe (vgl. Acampora 2013), während sich Williams 1994, 243 f. fragt,
wie die Ontologie eines täterlosen Tuns den moralischen Anspruch auf Tadel
(„blame") aushebelt. Bittner 2001, 35 weist auf, dass es in 279, 14-29 zwei Paa-
rungen sind, die N. beide kassieren wolle, erstens diejenige zwischen einer
Kraft und ihren Manifestationen und zweitens diejenige zwischen einer Hand-
 
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