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208 Zur Genealogie der Moral

30. 08. 1887: „Noch habe ich Dir nicht für die Tertullianstelle gedankt, ich habe
von Deinen adnotat. dazu den unbefangensten Gebrauch gemacht (näm-
lich in einer Abhandlung, die jetzt gedruckt wird): ein Stück der Stelle fand
sich noch vor Eintreffen Deines Briefes in meinen Manuscripten, aber es war
mir sehr werthvoll, sie in extenso zu bekommen." (KSB 8/KGB III 5, Nr. 900,
S. 139, Z. 39-45) Dieser Dank ist in zweifacher Hinsicht aufschlussreich:
Einerseits scheint N., bevor Overbecks Antwort eintraf, selbst wieder bei
Lecky nachgeblättert zu haben und dabei auch auf die von ihm gleichfalls in
GM I 15 zitierte, Tertullian benachbarte Thomas-Stelle (vgl. NK 284, 4-10) ge-
stoßen zu sein (vgl. auch Thatcher 1989, 590). Als er den Brief am 17. 07. 1887
verfasste, hatte er die Tertullian-Stelle nur vage in Erinnerung; hätte er Lecky
direkt vor Augen gehabt und hätte er nur den bei Lecky fehlenden Vorspann
gebraucht, wären die Angaben gegenüber Overbeck sicher präziser gewesen.
Was in N.s Brief vom 30. 8. 1887 „meine[.] Manuscripte[.]" heißt, dürfte also in
Wahrheit der Lecky-Band gewesen sein, zumal aus N.s Nachlass keine Auf-
zeichnung zu dieser Stelle bekannt ist, mit Ausnahme eines recht allgemeinen
Hinweises bereits in NL 1883, KSA 10, 7[23], 249, 19. Für die Textgenese der
finalen Version von GM I 15 ist also der Zeitraum von Mitte Juli bis Ende August
1887 anzunehmen.
Andererseits geht aus dem Brief vom 30. 08. 1887 hervor, dass N. die „adno-
tat[iones]", also die Anmerkungen, die Overbeck offensichtlich seiner Abschrift
beigegeben hatte, benutzt hat. Daraus darf man schließen, dass die gelehrten
deutschen Klammerbemerkungen 284, 26 f.; 285, 1; 285, 8-10 und 285, 21 f. ei-
gentlich von Overbeck herrühren. In Overbecks Bibliothek befand sich keine
Einzelausgabe von De spectaculis, wohl aber die Editio minor der von Franz
Oehler besorgten lateinischen Gesamtausgabe. Dort gibt es zwar textkritische
Anmerkungen zur zitierten Stelle, jedoch nicht die Sacherläuterungen von
GM I 15 (Tertullianus 1854, 31 f.); ebensowenig tauchen diese Sacherläuterun-
gen in der einst unter Overbecks Büchern vorhandenen Übersetzung von Franz
Anton von Besnard (Tertullianus 1837-1838, 1, 167 f.) auf. Vielleicht hat sich
N. auch um des wirkungsvollen Kontrastes zwischen lateinischer Quelle und
deutschen Erläuterungen willen, der Gelehrsamkeit suggeriert, entschlossen,
doch nicht, wie im Brief vom 17. 07. 1887 angekündigt, eine deutsche Überset-
zung statt des Originals zu benutzen, obwohl er eine solche Übersetzung, aller-
dings mit Auslassungen, bei Lecky gefunden hat.
Der Passus 284, 19-285, 22 bildet das Ende von De spectaculis und lautet
übersetzt: „Aber es gibt da noch andere Schauspiele: Jener letzte und ewige
Tag des Gerichts, jener von den Völkern nicht erwartete, jener verlachte Tag,
an dem die ganze altgewordene Welt und all ihre Hervorbringungen von einem
einzigen Feuer verschlungen werden. Was für ein Ausmaß wird das Schauspiel
 
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