222 Zur Genealogie der Moral
dürfte hier angespielt sein (vgl. Thatcher 1989, 590): „Herr Herbert Spencer ist
ein 'als' / Biologe ein decadent, — meist auch als / Moralist (— er sieht / im
Sieg des Altruismus etwas Wünschenswerthes!!!)" (KGW IX 8, W II 5, 169, 49-
50 u. 38-42 = NL 1887/88, KSA 13, 14[40], 238, 25-27).
289, 28-32 Alle Wissenschaften haben nunmehr der Zukunfts-Aufgabe des
Philosophen vorzuarbeiten: diese Aufgabe dahin verstanden, dass der Philosoph
das Problem vom Werthe zu lösen hat, dass er die Rangordnung der
Werthe zu bestimmen hat. —] Eine solche propädeutische, präparatorische
Funktion „aller Wissenschaften" für die Philosophie hat insbesondere das
Sechste Hauptstück: wir Gelehrten von Jenseits von Gut und Böse näher be-
schrieben (JGB 204-213, KSA 5, 129-149, vgl. Sommer 2014g). Dass Philosophen
es künftig vornehmlich mit Werten zu tun hätten, bedeutet freilich nicht, dass
sie einfach nur als stille Beobachter das Wertgefüge und seine Veränderungen
analysieren; vielmehr sollen sie als „Befehlende und Gesetzgeber"
(JGB 211, KSA 5, 145, 8) in Erscheinung treten. Statt eines kontemplativen Auf-
gabenverständnisses steht hier also ein praktisch-politisches Rollenmodell für
den Zukunftsphilosophen im Raum, der sich der Wissenschaft - in GM etwa
der Philologie und der Historie - bloß als eines Mittels bedient. Als „Vorspiel
einer Philosophie der Zukunft" galt gemäß Untertitel bereits JGB, womit N. sich
eine besonders seit Ludwig Feuerbach gängige Formel angeeignet hatte (vgl.
NK KSA 5, 9, 2f. u. zur Rhetorik dieser Zukunftsphilosophie Müller Farguell
1999. Auch Post 1880-1881, 2, 237 benutzt die Formel emphatisch). Ausführlich
zu N.s variantenreichen zukunftsphilosophischen Aspirationen Wotling 2016,
während Meier 2017, 235 zeigt, wie sich schon in Za die in JGB breit entwickelte
Fragestellung nach der Aufgabe des Philosophen vorbereite.
Zweite Abhandlung: „Schuld", „schlechtes Gewissen"
und Verwandtes.
1.
Das Ausgangsproblem der zweiten Abhandlung ist die Frage, wie ein Tier,
nämlich der Mensch, hat entstehen - genauer: gezüchtet werden - können,
das imstande ist und dem es zukommt, Versprechen abzugeben, also eine ge-
wisse Herrschaft über die eigene Zukunft hat und die Fähigkeit besitzt, darüber
verbindliche Aus- und Zusagen gegenüber Dritten zu tätigen. Das wird weder
als moralphilosophische Frage exponiert, noch wird von der - beispielsweise
durch die biblische Paradiesgeschichte in 1. Mose 3 suggerierten - Annahme
hergeleitet, dass das Versprechen-Können etwas Naturgegebenes, ein immer
dürfte hier angespielt sein (vgl. Thatcher 1989, 590): „Herr Herbert Spencer ist
ein 'als' / Biologe ein decadent, — meist auch als / Moralist (— er sieht / im
Sieg des Altruismus etwas Wünschenswerthes!!!)" (KGW IX 8, W II 5, 169, 49-
50 u. 38-42 = NL 1887/88, KSA 13, 14[40], 238, 25-27).
289, 28-32 Alle Wissenschaften haben nunmehr der Zukunfts-Aufgabe des
Philosophen vorzuarbeiten: diese Aufgabe dahin verstanden, dass der Philosoph
das Problem vom Werthe zu lösen hat, dass er die Rangordnung der
Werthe zu bestimmen hat. —] Eine solche propädeutische, präparatorische
Funktion „aller Wissenschaften" für die Philosophie hat insbesondere das
Sechste Hauptstück: wir Gelehrten von Jenseits von Gut und Böse näher be-
schrieben (JGB 204-213, KSA 5, 129-149, vgl. Sommer 2014g). Dass Philosophen
es künftig vornehmlich mit Werten zu tun hätten, bedeutet freilich nicht, dass
sie einfach nur als stille Beobachter das Wertgefüge und seine Veränderungen
analysieren; vielmehr sollen sie als „Befehlende und Gesetzgeber"
(JGB 211, KSA 5, 145, 8) in Erscheinung treten. Statt eines kontemplativen Auf-
gabenverständnisses steht hier also ein praktisch-politisches Rollenmodell für
den Zukunftsphilosophen im Raum, der sich der Wissenschaft - in GM etwa
der Philologie und der Historie - bloß als eines Mittels bedient. Als „Vorspiel
einer Philosophie der Zukunft" galt gemäß Untertitel bereits JGB, womit N. sich
eine besonders seit Ludwig Feuerbach gängige Formel angeeignet hatte (vgl.
NK KSA 5, 9, 2f. u. zur Rhetorik dieser Zukunftsphilosophie Müller Farguell
1999. Auch Post 1880-1881, 2, 237 benutzt die Formel emphatisch). Ausführlich
zu N.s variantenreichen zukunftsphilosophischen Aspirationen Wotling 2016,
während Meier 2017, 235 zeigt, wie sich schon in Za die in JGB breit entwickelte
Fragestellung nach der Aufgabe des Philosophen vorbereite.
Zweite Abhandlung: „Schuld", „schlechtes Gewissen"
und Verwandtes.
1.
Das Ausgangsproblem der zweiten Abhandlung ist die Frage, wie ein Tier,
nämlich der Mensch, hat entstehen - genauer: gezüchtet werden - können,
das imstande ist und dem es zukommt, Versprechen abzugeben, also eine ge-
wisse Herrschaft über die eigene Zukunft hat und die Fähigkeit besitzt, darüber
verbindliche Aus- und Zusagen gegenüber Dritten zu tätigen. Das wird weder
als moralphilosophische Frage exponiert, noch wird von der - beispielsweise
durch die biblische Paradiesgeschichte in 1. Mose 3 suggerierten - Annahme
hergeleitet, dass das Versprechen-Können etwas Naturgegebenes, ein immer