264 Zur Genealogie der Moral
der Gesammtheit gefährdet, und ein Ausgleich seiner That stattfinden muss"
(N.s Unterstreichungen).
298, 9 f. die längste Zeit der menschlichen Geschichte hindurch] Vgl. NK KSA 5,
50, 9.
298, 13-15 so wie jetzt noch Eltern ihre Kinder strafen, aus Zorn über einen
erlittenen Schaden, der sich am Schädiger auslässt] Den elterlichen Zorn macht
Salomon Stricker in seiner Physiologie des Rechts als eine Wurzel des Strafens
aus: Es „gehört das erste Moment — der Aerger über das Betragen des Kindes,
ich will lieber sagen, der Zorn, den das Kind anregt — gewiss zu den frühesten
und primitivsten Ursachen der Strafe" (Stricker 1884, 121). Strafrechtsentwick-
lung besteht für Stricker wesentlich darin, diesen Zorn zu bändigen und in
geregelte Formen zu überführen, vgl. NK 308, 12-31.
298, 15-19 dieser Zorn aber in Schranken gehalten und modifizirt durch die
Idee, dass jeder Schaden irgend worin sein Äquivalent habe und wirklich ab-
gezahlt werden könne, sei es selbst durch einen Schmerz des Schädigers] Zum
Begriff des Äquivalents, den Josef Kohler gebraucht, siehe die in NK 299, 19-
23 mitgeteilte Textstelle aus Kohler 1885a, 17. In seinem Buch Shakespeare vor
dem Forum der Jurisprudenz führt Kohler den Zusammenhang zwischen
Schmerz und Strafe weiter aus, nicht ohne jedoch selbst moralisierend Urteile
über frühere Rechtszustände zu fällen, nämlich den Sadismus der Freude am
fremden Schmerz anzuprangern (das Thema kehrt ausführlicher und ohne Mo-
ralisierung in GM II 5-6 wieder): „Man würde der Blutrache unrecht thun,
wenn man sie völlig auf egoistische Elemente zurückführen und das ganze
welthistorische Blutracherecht als eine grosse rechtlose Verirrung darstellen
wollte. Vielmehr enthielt die Blutrache einen guten Theil wirklichen socialen
Gerechtigkeitsgefühles in sich: sie war die erste Manifestirung des grossen Ge-
dankens, dass das Unrecht in seiner Eigenschaft als Unrecht einer Reaction
unterliegen soll, einer Reaction, welche das Unrecht als Unrecht trifft, welche
nicht etwa bloss den durch das Unrecht hervorgerufenen Schaden trifft: einer
Reaction, welche dem Uebelthäter ein Leiden auf das Haupt sendet, damit
durch die sühnende, reinigende Kraft des Schmerzes der sociale Bann gelöst
wird, welchen der Uebelthäter auf sich geladen hat. Aber dieser Strafgedanke
tritt in der Blutracheperiode nicht in seiner Reinheit hervor; er ist umschlossen
und noch unlöslich umfangen von der Schadenfreude und von der Lust an
dem Schmerze Anderer, von dem selbstischen Gefühl, sich an der Qual dessen
zu weiden, welcher uns solche Leiden bereitet hat: nicht die sociale Sühnung
und Lösung des Unrechts ist der erste und offenbarste Ausgangspunkt der
Blutrache, sondern das egoistische Selbstgenügen am fremden Weh, die Freu-
de an dem Leiden des Dritten" (Kohler 1883, 180). Aus der Perspektive von
der Gesammtheit gefährdet, und ein Ausgleich seiner That stattfinden muss"
(N.s Unterstreichungen).
298, 9 f. die längste Zeit der menschlichen Geschichte hindurch] Vgl. NK KSA 5,
50, 9.
298, 13-15 so wie jetzt noch Eltern ihre Kinder strafen, aus Zorn über einen
erlittenen Schaden, der sich am Schädiger auslässt] Den elterlichen Zorn macht
Salomon Stricker in seiner Physiologie des Rechts als eine Wurzel des Strafens
aus: Es „gehört das erste Moment — der Aerger über das Betragen des Kindes,
ich will lieber sagen, der Zorn, den das Kind anregt — gewiss zu den frühesten
und primitivsten Ursachen der Strafe" (Stricker 1884, 121). Strafrechtsentwick-
lung besteht für Stricker wesentlich darin, diesen Zorn zu bändigen und in
geregelte Formen zu überführen, vgl. NK 308, 12-31.
298, 15-19 dieser Zorn aber in Schranken gehalten und modifizirt durch die
Idee, dass jeder Schaden irgend worin sein Äquivalent habe und wirklich ab-
gezahlt werden könne, sei es selbst durch einen Schmerz des Schädigers] Zum
Begriff des Äquivalents, den Josef Kohler gebraucht, siehe die in NK 299, 19-
23 mitgeteilte Textstelle aus Kohler 1885a, 17. In seinem Buch Shakespeare vor
dem Forum der Jurisprudenz führt Kohler den Zusammenhang zwischen
Schmerz und Strafe weiter aus, nicht ohne jedoch selbst moralisierend Urteile
über frühere Rechtszustände zu fällen, nämlich den Sadismus der Freude am
fremden Schmerz anzuprangern (das Thema kehrt ausführlicher und ohne Mo-
ralisierung in GM II 5-6 wieder): „Man würde der Blutrache unrecht thun,
wenn man sie völlig auf egoistische Elemente zurückführen und das ganze
welthistorische Blutracherecht als eine grosse rechtlose Verirrung darstellen
wollte. Vielmehr enthielt die Blutrache einen guten Theil wirklichen socialen
Gerechtigkeitsgefühles in sich: sie war die erste Manifestirung des grossen Ge-
dankens, dass das Unrecht in seiner Eigenschaft als Unrecht einer Reaction
unterliegen soll, einer Reaction, welche das Unrecht als Unrecht trifft, welche
nicht etwa bloss den durch das Unrecht hervorgerufenen Schaden trifft: einer
Reaction, welche dem Uebelthäter ein Leiden auf das Haupt sendet, damit
durch die sühnende, reinigende Kraft des Schmerzes der sociale Bann gelöst
wird, welchen der Uebelthäter auf sich geladen hat. Aber dieser Strafgedanke
tritt in der Blutracheperiode nicht in seiner Reinheit hervor; er ist umschlossen
und noch unlöslich umfangen von der Schadenfreude und von der Lust an
dem Schmerze Anderer, von dem selbstischen Gefühl, sich an der Qual dessen
zu weiden, welcher uns solche Leiden bereitet hat: nicht die sociale Sühnung
und Lösung des Unrechts ist der erste und offenbarste Ausgangspunkt der
Blutrache, sondern das egoistische Selbstgenügen am fremden Weh, die Freu-
de an dem Leiden des Dritten" (Kohler 1883, 180). Aus der Perspektive von