Stellenkommentar GM II 5, KSA 5, S. 298 265
GM wäre diese Kritik am ursprünglichen Egoismus des Weh-tun-Wollens selbst
wieder für moralisch naiv und moralhistorisch unaufgeklärt zu halten. Post
1880-1881, 1, 221 führt aus, dass in der Hochphase der „Compositionssysteme"
für jedes Verbrechen ein finanzielles Äquivalent gefunden worden sei (zitiert
in NK 308, 25 f.).
298, 24 „Rechtssubjekte"] Bei Post 1880-1881, 1, 73 heißt es: „Wenn wir heut-
zutage von Rechtssubjekten sprechen, so bezeichnen wir damit vor Allem die
einzelnen Menschen nach ihrer rechtlichen Seite hin, die sogenannten physi-
schen oder natürlichen Personen. Wir sehen dieselben in Beziehungen zu sons-
tigen einzelnen Menschen und ethnisch-morphologischen Bildungen stehen,
welche sie diesen gegenüber einerseits berechtigt, andererseits verpflichtet er-
scheinen lassen. Dieses Rechtssubjekt, dieser einzelne Mensch als Träger von
Rechten und Pflichten, welcher uns heutzutage so selbstverständlich er-
scheint, hat aber keineswegs von jeher bestanden, sondern er ist vom verglei-
chend-ethnologischen Standpunkte aus das Produkt einer langen und compli-
cirten Entwickelung." (Vgl. auch Post 1884, 156-181: „Entwickelungsgeschichte
des individuellen Rechtssubjekts") Ursprünglich konnte nach Post 1880-1881,
1, 74 - N. hat die Stelle mit Randstrich markiert - von individueller Rechtssub-
jektivität keine Rede sein: „Vielmehr ist der Verband selbst, das Geschlecht
oder der Stamm als Ganzes hier alleiniges Rechtssubjekt; er allein hat Rechte
und Pflichten, und zwar nach Analogie der heutigen völkerrechtlichen Rechte
und Pflichten."
5.
GM II 5 bündelt die gedächtnishistorische Betrachtungsweise von GM II 3 und
die rechtshistorische Betrachtungsweise von GM II 4 in der Analyse archaischer
Schuldverhältnisse. Wer sich verschuldet, verspricht künftige Rückzahlung -
und dieses Versprechen muss seinem Gedächtnis eingebrannt werden. Um ei-
nerseits dies zu erreichen und andererseits dem Gläubiger Vertrauen einzuflö-
ßen, habe der Schuldner deshalb für den Fall der Nichtrückzahlung etwas Fun-
damentales verpfändet, Leib und Leben beispielsweise. Und der Gläubiger
habe im Falle der Schuldnersäumigkeit das Recht erworben, über dieses Fun-
damentale zu verfügen, also etwa einen Teil des Schuldnerleibes zu bekom-
men. Damit erhalte er für den entstandenen Schaden - die ausbleibende Rück-
zahlung des Darlehens - „eine Art Wohlgefühl als Rückzahlung und Aus-
gleich" (299, 32 f.), nämlich ein Sich-Weiden am Schmerz des Schuldners, ein
„Genuss in der Vergewaltigung: als welcher Genuss um so höher geschätzt
wird, je tiefer und niedriger der Gläubiger in der Ordnung der Gesellschaft
GM wäre diese Kritik am ursprünglichen Egoismus des Weh-tun-Wollens selbst
wieder für moralisch naiv und moralhistorisch unaufgeklärt zu halten. Post
1880-1881, 1, 221 führt aus, dass in der Hochphase der „Compositionssysteme"
für jedes Verbrechen ein finanzielles Äquivalent gefunden worden sei (zitiert
in NK 308, 25 f.).
298, 24 „Rechtssubjekte"] Bei Post 1880-1881, 1, 73 heißt es: „Wenn wir heut-
zutage von Rechtssubjekten sprechen, so bezeichnen wir damit vor Allem die
einzelnen Menschen nach ihrer rechtlichen Seite hin, die sogenannten physi-
schen oder natürlichen Personen. Wir sehen dieselben in Beziehungen zu sons-
tigen einzelnen Menschen und ethnisch-morphologischen Bildungen stehen,
welche sie diesen gegenüber einerseits berechtigt, andererseits verpflichtet er-
scheinen lassen. Dieses Rechtssubjekt, dieser einzelne Mensch als Träger von
Rechten und Pflichten, welcher uns heutzutage so selbstverständlich er-
scheint, hat aber keineswegs von jeher bestanden, sondern er ist vom verglei-
chend-ethnologischen Standpunkte aus das Produkt einer langen und compli-
cirten Entwickelung." (Vgl. auch Post 1884, 156-181: „Entwickelungsgeschichte
des individuellen Rechtssubjekts") Ursprünglich konnte nach Post 1880-1881,
1, 74 - N. hat die Stelle mit Randstrich markiert - von individueller Rechtssub-
jektivität keine Rede sein: „Vielmehr ist der Verband selbst, das Geschlecht
oder der Stamm als Ganzes hier alleiniges Rechtssubjekt; er allein hat Rechte
und Pflichten, und zwar nach Analogie der heutigen völkerrechtlichen Rechte
und Pflichten."
5.
GM II 5 bündelt die gedächtnishistorische Betrachtungsweise von GM II 3 und
die rechtshistorische Betrachtungsweise von GM II 4 in der Analyse archaischer
Schuldverhältnisse. Wer sich verschuldet, verspricht künftige Rückzahlung -
und dieses Versprechen muss seinem Gedächtnis eingebrannt werden. Um ei-
nerseits dies zu erreichen und andererseits dem Gläubiger Vertrauen einzuflö-
ßen, habe der Schuldner deshalb für den Fall der Nichtrückzahlung etwas Fun-
damentales verpfändet, Leib und Leben beispielsweise. Und der Gläubiger
habe im Falle der Schuldnersäumigkeit das Recht erworben, über dieses Fun-
damentale zu verfügen, also etwa einen Teil des Schuldnerleibes zu bekom-
men. Damit erhalte er für den entstandenen Schaden - die ausbleibende Rück-
zahlung des Darlehens - „eine Art Wohlgefühl als Rückzahlung und Aus-
gleich" (299, 32 f.), nämlich ein Sich-Weiden am Schmerz des Schuldners, ein
„Genuss in der Vergewaltigung: als welcher Genuss um so höher geschätzt
wird, je tiefer und niedriger der Gläubiger in der Ordnung der Gesellschaft