278 Zur Genealogie der Moral
kiert.) Höffding vertritt also eine affektevolutionäre Sicht, der zufolge die
„malevolent sympathy" wegen ihres mangelnden (Gemein-)Nutzens sich eher
früher als später verflüchtigen werde. Die psychohistorische Gegenthese von
GM II 6 besagt hingegen, dass sie in „der älteren Menschheit" (301, llf.) unab-
sehbar lange herrschend gewesen sei. Damals scheint sich nach der Erzählung
von GM II 6 kein ,Ausmendeln' der uninteressierten Bosheit angedeutet zu ha-
ben - was natürlich nicht ausschließt, dass dies mit Höffding eine Entwicklung
in neuerer Zeit sein mag, worauf der Umstand hindeuten könnte, dass „uns"
die Grausamkeitsexzesse, von denen GM II 6 berichtet, aufs äußerste widerstre-
ben (vgl. 301, 7-10).
Begrifflich ist eine „uninteressierte Bosheit" eine, die kein Interesse an der
Person nimmt, gegen die sie sich richtet. Der uninteressiert böse Handelnde
tut das nicht, weil ihm sein Opfer widerwärtig oder verhasst wäre und er sich
just an ihm vergehen will, vielmehr ist er in seiner Bosheit unparteiisch. N.s
Texte artikulieren wiederholt scharfe Kritik an einer Moral der Uninteressiert-
heit, vgl. z. B. NK KSA 5, 154, 27-155, 13 und NK KSA 6, 133, 28-30.
301, 20 f. in „Jenseits von Gut und Böse" S. 117 ff. (früher schon in der „Morgen-
röthe" S. 17. 68.102)] Nietzsche 1886a, 117 beginnt mit der Zeile JGB 194, KSA 5,
115, 5 (und nicht mit JGB 197, wie KSA 14, 379 suggeriert). Das unbestimmte
„ff." könnte sich bis Nietzsche 1886a, 131 erstrecken, d. h. bis zum Ende des
Fünften Hauptstücks, JGB 203, KSA 5, 128, 5. Nietzsche 1881/1887b, 17 ent-
spricht M 17 u. 18, KSA 3, 29, 23-30, 21; Nietzsche 1881/1887b, 68 entspricht M
77, KSA 3, 74, 12-75, 7; Nietzsche 1881/1887b, 102 schließlich M 112 u. 113, KSA 3,
102, 6-103, 2.
301, 26-29 Jedenfalls ist es noch nicht zu lange her, dass man sich fürstliche
Hochzeiten und Volksfeste grössten Stils ohne Hinrichtungen, Folterungen oder
etwa ein Autodafe nicht zu denken wusste] Namentlich in Leckys Geschichte des
Ursprungs und Einflusses der Aufklärung in Europa hat N. sehr anschauliche
Beispiele für solche Paroxysmen festlich verklärter oder aufgepeitschter Grau-
samkeit gefunden (Lecky 1873, 1, 235 f.), vgl. NK KSA 5, 166, 13-21 und Rahden
2002. Über Spanien in der frühen Neuzeit schreibt Lecky: „In diesem Lande
wurde die Inquisition immer als der besondere Ausdruck der nationalen Religi-
on gepflegt, und das Verbrennen der Juden und Ketzer bald in einem zwiefa-
chen Lichte angesehen, als eine religiöse Feierlichkeit und auch als ein Schau-
spiel oder öffentliches Fest, welches dem nationalen Geschmacke sehr zusag-
te." (Lecky 1873, 2, 89, N.s Unterstreichungen, mehrfache Markierungen am
Rand.) In der zugehörigen Fußnote wird ein zeitgenössisches Gemälde von
Francesco Bizzi beschrieben: „Es stellt die Hinrichtung oder vielmehr den Gang
zum Scheiterhaufen einer Anzahl von Juden oder Jüdinnen dar, die 1680 in
kiert.) Höffding vertritt also eine affektevolutionäre Sicht, der zufolge die
„malevolent sympathy" wegen ihres mangelnden (Gemein-)Nutzens sich eher
früher als später verflüchtigen werde. Die psychohistorische Gegenthese von
GM II 6 besagt hingegen, dass sie in „der älteren Menschheit" (301, llf.) unab-
sehbar lange herrschend gewesen sei. Damals scheint sich nach der Erzählung
von GM II 6 kein ,Ausmendeln' der uninteressierten Bosheit angedeutet zu ha-
ben - was natürlich nicht ausschließt, dass dies mit Höffding eine Entwicklung
in neuerer Zeit sein mag, worauf der Umstand hindeuten könnte, dass „uns"
die Grausamkeitsexzesse, von denen GM II 6 berichtet, aufs äußerste widerstre-
ben (vgl. 301, 7-10).
Begrifflich ist eine „uninteressierte Bosheit" eine, die kein Interesse an der
Person nimmt, gegen die sie sich richtet. Der uninteressiert böse Handelnde
tut das nicht, weil ihm sein Opfer widerwärtig oder verhasst wäre und er sich
just an ihm vergehen will, vielmehr ist er in seiner Bosheit unparteiisch. N.s
Texte artikulieren wiederholt scharfe Kritik an einer Moral der Uninteressiert-
heit, vgl. z. B. NK KSA 5, 154, 27-155, 13 und NK KSA 6, 133, 28-30.
301, 20 f. in „Jenseits von Gut und Böse" S. 117 ff. (früher schon in der „Morgen-
röthe" S. 17. 68.102)] Nietzsche 1886a, 117 beginnt mit der Zeile JGB 194, KSA 5,
115, 5 (und nicht mit JGB 197, wie KSA 14, 379 suggeriert). Das unbestimmte
„ff." könnte sich bis Nietzsche 1886a, 131 erstrecken, d. h. bis zum Ende des
Fünften Hauptstücks, JGB 203, KSA 5, 128, 5. Nietzsche 1881/1887b, 17 ent-
spricht M 17 u. 18, KSA 3, 29, 23-30, 21; Nietzsche 1881/1887b, 68 entspricht M
77, KSA 3, 74, 12-75, 7; Nietzsche 1881/1887b, 102 schließlich M 112 u. 113, KSA 3,
102, 6-103, 2.
301, 26-29 Jedenfalls ist es noch nicht zu lange her, dass man sich fürstliche
Hochzeiten und Volksfeste grössten Stils ohne Hinrichtungen, Folterungen oder
etwa ein Autodafe nicht zu denken wusste] Namentlich in Leckys Geschichte des
Ursprungs und Einflusses der Aufklärung in Europa hat N. sehr anschauliche
Beispiele für solche Paroxysmen festlich verklärter oder aufgepeitschter Grau-
samkeit gefunden (Lecky 1873, 1, 235 f.), vgl. NK KSA 5, 166, 13-21 und Rahden
2002. Über Spanien in der frühen Neuzeit schreibt Lecky: „In diesem Lande
wurde die Inquisition immer als der besondere Ausdruck der nationalen Religi-
on gepflegt, und das Verbrennen der Juden und Ketzer bald in einem zwiefa-
chen Lichte angesehen, als eine religiöse Feierlichkeit und auch als ein Schau-
spiel oder öffentliches Fest, welches dem nationalen Geschmacke sehr zusag-
te." (Lecky 1873, 2, 89, N.s Unterstreichungen, mehrfache Markierungen am
Rand.) In der zugehörigen Fußnote wird ein zeitgenössisches Gemälde von
Francesco Bizzi beschrieben: „Es stellt die Hinrichtung oder vielmehr den Gang
zum Scheiterhaufen einer Anzahl von Juden oder Jüdinnen dar, die 1680 in