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Stellenkommentar GM II 7, KSA 5, S. 302 281

men Affen dürfte N. bei der Lektüre von Friedrich von Hellwalds Culturge-
schichte gestoßen sein, die Mensch und Affen auch in dieser Hinsicht eng zu-
sammenrückt: „Dass die Grausamkeit eine positive thierische Seite der
menschlichen Natur bildet, dürfte kaum irgend Jemand in Zweifel zu ziehen
gesonnen sein, und es ist interessant zu wissen, dass sich dieselbe beim Affen
am ähnlichsten äußert." (Hellwald 1876a-1877a, 2, 362) Die angefügte Fußnote
führt dies dann näher aus, wobei Hellwald sich auf einen Artikel in der engli-
schen Zeitschrift Nature (Bd. 11, 149) stützt: „Bekanntlich zeigen diese Thiere
das höchste Entzücken, wenn sie andere martern können, lediglich um des
Vergnügens des Marterns willen; aber nicht allgemein bekannt ist, wie viel
Mühe ein Durchschnittsaffe es sich kosten lässt, diesen Trieb zu befriedigen.
Ein Beispiel genügt. Ein Naturforscher, der lange in Indien gelebt, versichert,
nicht selten gesehen zu haben, wie Affen sich ein bis zwei Stunden lang todt
stellten, blos nur um Krähen oder andere fleischfressende Vögel in erreichbare
Nähe anzulocken; hatte er dann den Vogel erwischt, so tat der entzückte Affe
ihm dann alle erdenklichen Martern an, worunter das Rupfen bei lebendigem
Leibe am beliebtesten war." (Hellwald 1876a-1877a, 2, 362) Hellwald folgert
daraus, man dürfe „wohl dem englischen Forscher in der Annahme beipflich-
ten, dass, wenn der Ursprung des Grausamkeitstriebes je eine wissenschaftli-
che Erklärung findet, diese in irgend einer mit dem Affenleben zusammenhän-
genden Seite liegen werde" (ebd.). Bereits 1872 hatte die Zeitschrift Globus von
dem belgischen Naturforscher Jean-Charles Houzeau berichtet, der „über die
gehässigen und grausamen Instincte und Gefühle der Menschen und
Thiere eingehende Untersuchungen angestellt" habe. Houzeau sei zu dem Er-
gebnis gekommen, „daß die anthropomorphen Affen (- die übrigens keine
Fleischfresser sind -), insbesondere der Orang utan, andere Vierfüßer sehr hart
behandeln und in brutaler Weise ihre Ueberlegenheit geltend machen." ([Ano-
nym] 1872, 335).

7.
GM II 7 blockt zu Beginn jene moralisierenden Schlussfolgerungen ab, die der
vorangehende Abschnitt mit seiner Diagnose, es gebe eine urmenschliche Lust
am Leiden-Sehen und Leiden-Machen, leicht provozieren kann. Denn „unsre[.]
Pessimisten" (302, 14) - neben Schopenhauer dürfte N. hier besonders an Phi-
lipp Mainländer denken, von dem er in GM II 7 ein Beispiel bezieht (303, 3-
7) - wären aus dieser Diagnose abzuleiten geneigt, dass sich das Leben also
nicht lohne, weil in ihm das Leiden vorherrsche. Es wird dagegengehalten,
Epochen, in denen die Grausamkeit offen ausgetragen wurde, hätten „das Le-
 
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