Stellenkommentar GM II 8, KSA 5, S. 306 297
chen, Werthe abmessen, Äquivalente ausdenken, tauschen — das hat in einem
solchen Maasse das allererste Denken des Menschen präoccupirt, dass es in ei-
nem gewissen Sinne das Denken ist] Die Vorstellung, dass Denken zunächst
einmal Kalkulieren bedeutet, mag auf die berühmte Gleichsetzung von Denken
und Rechnen (computatio) bei Thomas Hobbes anspielen, die N. beispielsweise
bei der Lektüre von Kuno Fischer begegnet sein kann: „,Die Verständigen', sagt
Hobbes, ,brauchen die Worte als Rechenpfennige, die Thoren als wirkliche
Münze, deren Bild und Ueberschrift sie verehren, es sei nun dieses Bild Aristo-
teles, Cicero oder der heilige Thomas.' Daher besteht nach Hobbes aller Er-
kenntnißstoff, den wir vermöge des Räsonnements systematisch ordnen, in
Worten, die gleich Rechenpfennigen sind, das Räsonnement selbst im Addiren
und Subtrahiren dieser Zeichen d. h. im Rechnen, daher die charakteristische
Erklärung: ,Denken ist Rechnen.'" (Fischer 1875, 522, implizit nach Tho-
mas Hobbes: De corpore I 1, 2) GM II 8 stellt allerdings die Hypothese über das
Wesen des Denkens nicht in den luftleeren Raum, sondern beruft sich auf ei-
nen ethnologischen Sachverhalt (vgl. z. B. Caspari 1877, 1, 254-256). Während
GM II 8 das Denken mit dem Rechnen, Abschätzen beginnen lässt, wird Hei-
degger es darin enden oder vielmehr seinen Nieder- und Untergang finden las-
sen: „Dieses Rechnen kennzeichnet alles planende und forschende Denken.
Solches Denken bleibt auch dann ein Rechnen, wenn es nicht mit Zahlen ope-
riert und nicht die Zählmaschine und keine Großrechenanlage in Gang setzt.
Das rechnende Denken kalkuliert. Es kalkuliert mit fortgesetzt neuen, mit im-
mer aussichtsreicheren und zugleich billigeren Möglichkeiten. Das rechnende
Denken hetzt von einer Chance zur nächsten. Das rechnende Denken hält nie
still, kommt nicht /519/ zur Besinnung. Das rechnende Denken ist kein besinn-
liches Denken, kein Denken, das dem Sinn nachdenkt, der in allem waltet, was
ist." (Heidegger 2000, 16, 519 f.) Wäre es Heidegger nicht so bitter ernst mit
seinem Entweder-Oder, könnte man seine Über-Legung für ein Satyrspiel zu
Hobbes und Nietzsche halten.
306, 11-14 Vielleicht drückt noch unser Wort „Mensch" (manas) gerade etwas
von diesem Selbstgefühl aus: der Mensch bezeichnete sich als das Wesen, wel-
ches Werthe misst, werthet und misst, als das „abschätzende Thier an sich".]
MA II WS 21 hat diese Überlegung unter der Überschrift „Der Mensch als
der Messende" bereits vorweggenommen: „Vielleicht hat alle Moralität der
Menschheit in der ungeheuren inneren Aufregung ihren Ursprung, welche die
Urmenschen ergriff, als sie das Maass und das Messen, die Wage und das Wä-
gen entdeckten (das Wort ,Mensch' bedeutet ja den Messenden, er hat sich
nach seiner grössten Entdeckung benennen wollen!). Mit diesen Vorstellun-
gen stiegen sie in Bereiche hinauf, die ganz unmessbar und unwägbar sind,
aber es ursprünglich nicht zu sein schienen." (KSA 2, 554, 22-30) Allerdings
chen, Werthe abmessen, Äquivalente ausdenken, tauschen — das hat in einem
solchen Maasse das allererste Denken des Menschen präoccupirt, dass es in ei-
nem gewissen Sinne das Denken ist] Die Vorstellung, dass Denken zunächst
einmal Kalkulieren bedeutet, mag auf die berühmte Gleichsetzung von Denken
und Rechnen (computatio) bei Thomas Hobbes anspielen, die N. beispielsweise
bei der Lektüre von Kuno Fischer begegnet sein kann: „,Die Verständigen', sagt
Hobbes, ,brauchen die Worte als Rechenpfennige, die Thoren als wirkliche
Münze, deren Bild und Ueberschrift sie verehren, es sei nun dieses Bild Aristo-
teles, Cicero oder der heilige Thomas.' Daher besteht nach Hobbes aller Er-
kenntnißstoff, den wir vermöge des Räsonnements systematisch ordnen, in
Worten, die gleich Rechenpfennigen sind, das Räsonnement selbst im Addiren
und Subtrahiren dieser Zeichen d. h. im Rechnen, daher die charakteristische
Erklärung: ,Denken ist Rechnen.'" (Fischer 1875, 522, implizit nach Tho-
mas Hobbes: De corpore I 1, 2) GM II 8 stellt allerdings die Hypothese über das
Wesen des Denkens nicht in den luftleeren Raum, sondern beruft sich auf ei-
nen ethnologischen Sachverhalt (vgl. z. B. Caspari 1877, 1, 254-256). Während
GM II 8 das Denken mit dem Rechnen, Abschätzen beginnen lässt, wird Hei-
degger es darin enden oder vielmehr seinen Nieder- und Untergang finden las-
sen: „Dieses Rechnen kennzeichnet alles planende und forschende Denken.
Solches Denken bleibt auch dann ein Rechnen, wenn es nicht mit Zahlen ope-
riert und nicht die Zählmaschine und keine Großrechenanlage in Gang setzt.
Das rechnende Denken kalkuliert. Es kalkuliert mit fortgesetzt neuen, mit im-
mer aussichtsreicheren und zugleich billigeren Möglichkeiten. Das rechnende
Denken hetzt von einer Chance zur nächsten. Das rechnende Denken hält nie
still, kommt nicht /519/ zur Besinnung. Das rechnende Denken ist kein besinn-
liches Denken, kein Denken, das dem Sinn nachdenkt, der in allem waltet, was
ist." (Heidegger 2000, 16, 519 f.) Wäre es Heidegger nicht so bitter ernst mit
seinem Entweder-Oder, könnte man seine Über-Legung für ein Satyrspiel zu
Hobbes und Nietzsche halten.
306, 11-14 Vielleicht drückt noch unser Wort „Mensch" (manas) gerade etwas
von diesem Selbstgefühl aus: der Mensch bezeichnete sich als das Wesen, wel-
ches Werthe misst, werthet und misst, als das „abschätzende Thier an sich".]
MA II WS 21 hat diese Überlegung unter der Überschrift „Der Mensch als
der Messende" bereits vorweggenommen: „Vielleicht hat alle Moralität der
Menschheit in der ungeheuren inneren Aufregung ihren Ursprung, welche die
Urmenschen ergriff, als sie das Maass und das Messen, die Wage und das Wä-
gen entdeckten (das Wort ,Mensch' bedeutet ja den Messenden, er hat sich
nach seiner grössten Entdeckung benennen wollen!). Mit diesen Vorstellun-
gen stiegen sie in Bereiche hinauf, die ganz unmessbar und unwägbar sind,
aber es ursprünglich nicht zu sein schienen." (KSA 2, 554, 22-30) Allerdings