354 Zur Genealogie der Moral
bereite, als ob der Mensch kein Ziel, sondern nur ein Weg, ein Zwischenfall, eine
Brücke, ein grosses Versprechen sei...} Das spielt auf Zarathustras Rede vom
Übermenschen an, die insbesondere in Za I Vorrede das Transitorische des Ge-
genwartsmenschen herausstreicht und dabei Gebrauch macht von der Weg-
und Brückenmetaphorik, z. B.: „Was gross ist am Menschen, das ist, dass er
eine Brücke und kein Zweck ist" (KSA 4, 16, 30-17, 1).
17.
GM II 17 benennt zwei Voraussetzungen für die in GM II 16 namhaft gemachte
„Hypothese über den Ursprung des schlechten Gewissens" (324, 6 f.), nämlich
zum einen, dass die Veränderungen im sozialen Gefüge plötzlich und unerwar-
tet eingetreten seien und also den Betroffenen keine Zeit für eine langsame
Anpassung geblieben sei. Und zum andern, dass ein gewaltsamer Umbruch,
nämlich die rücksichtslos tyrannische Staatsbildung durch „irgend ein Rudel
blonder Raubthiere, eine Eroberer- und Herren-Rasse" (324, 21 f.) den Men-
schen eine neue Organisationsform aufgezwungen und ihre Freiheit radikal
eingeschränkt habe. Daher habe sich der „Instinkt der Freiheit" (325,
23 f.) fortan nach innen entladen und das schlechte Gewissen heraufbeschwo-
ren.
Während der Abschnitt nur einen Satz lang beim ersten Punkt, der Ingres-
sivität und Plötzlichkeit der Veränderung verweilt (und zwar entgegen der in
GM II 16 bemühten biologischen Vorlage - Roux 1881 -, vgl. NK 322, 2-19) -
eine Plötzlichkeit, gegen die kein Widerstand, geschweige denn die Ausbil-
dung von „Ressentiment" (324, 12) möglich gewesen sei -, wird der zweite
Punkt ausgiebig erörtert: Der „älteste ,Staat"' müsse eine „furchtbare Tyran-
nei" (324, 15 f.) gewesen sein, initiiert von Eroberern, die die ursprünglich an-
sässige Bevölkerung unterjocht und gefügig gemacht haben (vgl. JGB 257,
KSA 5, 205 f.). Der Staat habe auf diese Weise, durch die rücksichtslose Durch-
setzung überragender Machtinteressen, begonnen und nicht etwa durch den
Abschluss eines Vertrages. Diese Eroberer waren aber nicht nur imstande, zu
erobern - zu morden und zu brandschatzen -, sondern vermochten es als „die
unfreiwilligsten, unbewusstesten Künstler, die es giebt" (325, 3 f.), ein Gemein-
wesen aus dem Boden zu stampfen, in dem zwar die meisten unterdrückt wer-
den, das aber sinnvoll geordnet ist, „in dem Nichts überhaupt Platz findet,
dem nicht erst ein ,Sinn' in Hinsicht auf das Ganze eingelegt ist" (325, 7 f.).
Diese aus dem Nichts auftauchenden Machtkünstler sind demnach auf wun-
dersame Weise nicht nur physisch überlegen und zur Eroberung befähigt, son-
dern sie verfügen offensichtlich auch über einen unwiderstehlichen politi-
bereite, als ob der Mensch kein Ziel, sondern nur ein Weg, ein Zwischenfall, eine
Brücke, ein grosses Versprechen sei...} Das spielt auf Zarathustras Rede vom
Übermenschen an, die insbesondere in Za I Vorrede das Transitorische des Ge-
genwartsmenschen herausstreicht und dabei Gebrauch macht von der Weg-
und Brückenmetaphorik, z. B.: „Was gross ist am Menschen, das ist, dass er
eine Brücke und kein Zweck ist" (KSA 4, 16, 30-17, 1).
17.
GM II 17 benennt zwei Voraussetzungen für die in GM II 16 namhaft gemachte
„Hypothese über den Ursprung des schlechten Gewissens" (324, 6 f.), nämlich
zum einen, dass die Veränderungen im sozialen Gefüge plötzlich und unerwar-
tet eingetreten seien und also den Betroffenen keine Zeit für eine langsame
Anpassung geblieben sei. Und zum andern, dass ein gewaltsamer Umbruch,
nämlich die rücksichtslos tyrannische Staatsbildung durch „irgend ein Rudel
blonder Raubthiere, eine Eroberer- und Herren-Rasse" (324, 21 f.) den Men-
schen eine neue Organisationsform aufgezwungen und ihre Freiheit radikal
eingeschränkt habe. Daher habe sich der „Instinkt der Freiheit" (325,
23 f.) fortan nach innen entladen und das schlechte Gewissen heraufbeschwo-
ren.
Während der Abschnitt nur einen Satz lang beim ersten Punkt, der Ingres-
sivität und Plötzlichkeit der Veränderung verweilt (und zwar entgegen der in
GM II 16 bemühten biologischen Vorlage - Roux 1881 -, vgl. NK 322, 2-19) -
eine Plötzlichkeit, gegen die kein Widerstand, geschweige denn die Ausbil-
dung von „Ressentiment" (324, 12) möglich gewesen sei -, wird der zweite
Punkt ausgiebig erörtert: Der „älteste ,Staat"' müsse eine „furchtbare Tyran-
nei" (324, 15 f.) gewesen sein, initiiert von Eroberern, die die ursprünglich an-
sässige Bevölkerung unterjocht und gefügig gemacht haben (vgl. JGB 257,
KSA 5, 205 f.). Der Staat habe auf diese Weise, durch die rücksichtslose Durch-
setzung überragender Machtinteressen, begonnen und nicht etwa durch den
Abschluss eines Vertrages. Diese Eroberer waren aber nicht nur imstande, zu
erobern - zu morden und zu brandschatzen -, sondern vermochten es als „die
unfreiwilligsten, unbewusstesten Künstler, die es giebt" (325, 3 f.), ein Gemein-
wesen aus dem Boden zu stampfen, in dem zwar die meisten unterdrückt wer-
den, das aber sinnvoll geordnet ist, „in dem Nichts überhaupt Platz findet,
dem nicht erst ein ,Sinn' in Hinsicht auf das Ganze eingelegt ist" (325, 7 f.).
Diese aus dem Nichts auftauchenden Machtkünstler sind demnach auf wun-
dersame Weise nicht nur physisch überlegen und zur Eroberung befähigt, son-
dern sie verfügen offensichtlich auch über einen unwiderstehlichen politi-