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Stellenkommentar GM II 17, KSA 5, S. 324 357

Naturalismus voraus und unterstellt zweitens fälschlich, dass die in GM der
Lächerlichkeit preisgegebene, konkurrierende Staatsentstehungsthese des
Kontraktualismus per se weniger ,naturalistisch' ist (vgl. auch Conway 2006,
307-309). Das plausibel zu finden, fällt einem Leser, der mit den Absonderlich-
keiten der aktuellen Naturalismus-Debatte nicht vertraut ist, allerdings schwer:
Kontraktualismus kann leicht auf alle übernatürlichen Annahmen verzichten
und genau auf die Empirie abheben, die GM beim Gläubiger-Schuldner-Verhält-
nis herausstellt: Dass nämlich einzelne Menschen Wesen sind, die nicht alles
aus sich heraus schöpfen und daher sich mit anderen Ihresgleichen arrangie-
ren müssen. Naturalismus im Sinne einer Wirklichkeitsauffassung, die auf alle
theologischen und metaphysischen Prämissen verzichtet, war für sehr viele
von N.s wissenschaftlich aktiven und von ihm scharf kritisierten Zeitgenossen
schon eine Selbstverständlichkeit, die sich deshalb nicht dazu eignet, N.s spe-
zifisches intellektuelles Profil herauszuarbeiten. Urs Marti spricht im Blick auf
GM II 17 zwar von N.s „,realistische[r]' Staatstheorie" (NH 333), gibt jedoch zu
bedenken, dass diese „keine ausreichende Grundlage für die Kritik der moder-
nen, liberalen Staatskonzeption abzugeben" vermöge.
Zu blonden Bestien/Raubtieren siehe NK 275, 9-16.
324, 26-30 Dergestalt beginnt ja der „Staat" auf Erden: ich denke, jene Schwär-
merei ist abgethan, welche ihn mit einem „ Vertrage" beginnen liess. Wer befehlen
kann, wer von Natur „Herr" ist, wer gewaltthätig in Werk und Gebärde auftritt —
was hat der mit Verträgen zu schaffen!] Vorangehende Passagen der Zweiten
Abhandlung räumen der quasi privatrechtlichen Gläubiger-Schuldner-Bezie-
hung nicht nur eine zentrale Bedeutung für die soziale Selbstkonstitution des
Menschen als Gedächtniswesen ein, sondern bezeichnen diese Beziehung ex-
plizit als Vertrag, vgl. NK 299, 3-10 u. NK 305, 28-306, 2. Dort wird freilich
nirgends behauptet, der Staat sei als großes Vertragswerk zu sehen (vgl. jedoch
MA I 235, KSA 2, 197, 23 f.). Die scharfe Wendung gegen den staatstheoretischen
Kontraktualismus in 324, 26-30, wie er sich in der politischen Philosophie ins-
besondere mit Hobbes, Locke und Rousseau verbindet, steht also zu diesen
früheren Äußerungen nicht in einem prinzipiellen Widerspruch. Genau genom-
men weist 324, 26-30 auch nur die historische Hypothese zurück, den Staat
„mit einem ,Vertrage' beginnen" zu lassen. Da die Leser nun in den vorange-
henden Kapiteln hinreichend darüber belehrt worden sind, dass die Entste-
hung einer Sache nichts mit deren späterer Funktion zu tun zu haben braucht,
wird ein Staatsvertragstheoretiker dem Sprecher von GM II 17 großzügig einräu-
men können, dass die Staatsgenese nichts mit einem Vertrag und viel mit Gewalt
zu tun gehabt haben möge, aber dennoch sei das moderne Staatsgefüge das
eines Vertrages zum allseitigen Nutzen der Bürger (oder dieses Staatsgefüge soll-
te wenigstens so gerechtfertigt werden). Der Antikontraktualismus von 324,
 
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