Stellenkommentar GM II 17, KSA 5, S. 325 359
bewußte Schöpfung, als Kunstwerk. In den Stadtrepubliken wie in den Tyran-
nenstaaten prägt sich dies Leben hundertfältig aus, und bestimmt ihre innere
Gestalt sowohl als ihre Politik nach außen." (Ebd., 2) Burckhardt hält also ein
Verständnis von Staat als kunstanaloger Schöpfung für etwas Neuzeitspezifi-
sches, während GM II 17 die poietische Kraft der Renaissance-Politiker zurück-
projiziert auf eine zeitlich unbestimmt bleibende Staatsursprungssituation.
Burckhardt macht das Neue am bewussten Staatsschöpfertum der Akteure fest,
während der in GM Sprechende seinen blondbestialischen Eroberer-Herrscher-
Künstler-Wundertieren eine unbewusste Schöpferkraft attestiert.
325, 18 f. mindestens aus der Sichtbarkeit geschafft und gleichsam latent ge-
macht worden wäre] Den Gegensatz von Sichtbarkeit und Latenz hat N. bei
Nägeli 1884, 183 f. markiert: „Von den Wellenzügen, /184/ welche die Oberflä-
che modelliren und den Anpassungsveränderungen im Idioplasma entspre-
chen, werden nur die kräftigsten zu sichtbaren Merkmalen, indess die anderen
latent bleiben" (N.s Unterstreichungen).
325, 20-25 Dieser gewaltsam latent gemachte Instinkt der Freiheit — wir
begriffen es schon — dieser zurückgedrängte, zurückgetretene, in's Innere einge-
kerkerte und zuletzt nur an sich selbst noch sich entladende und auslassende
Instinkt der Freiheit: das, nur das ist in seinem Anbeginn das schlechte Ge-
wissen.] Die Fügung „Instinkt der Freiheit" lässt sich bei N. nur an drei Stel-
len, in den drei aufeinander folgenden Abschnitten GM II 16 (322, 31, dort im
Plural), GM II 17 und schließlich GM II 18 nachweisen - dort ebenfalls gesperrt
und mit der Klammererläuterung: „in meiner Sprache geredet: der Wille zur
Macht" (326, 2 f.). Komposita wie ,Freiheitsinstinkt' sucht man bei N. verge-
bens; zu N.s Instinktbegriff im Allgemeinen vgl. z. B. NK KSA 6, 90, 3-8. Der
„Instinkt der Freiheit" ist als stehende Wendung zu N.s Zeit durchaus schon
eingeführt. Im bürgerlichen Lager kann Karl Rosenkranz sie brauchen, wenn
er über die Entstehung des „magischen Handelns" spricht, nämlich „negativ
aus der Verzweiflung des Egoismus, eine Schranke zu haben, positiv aus dem
Instinct der Freiheit, die Natur beherrschen zu können" (Rosenkranz 1875, 1,
382). Im sozialistischen und radikaldemokratischen Lager hat die Wendung
schon lange eine stark politische Färbung: Arnold Ruge berichtet, die demo-
kratische Partei habe „die Tradition der Revolution und den Instinkt der Frei-
heit, welcher alle französischen Herzen durchzieht, für sich" (Ruge 1848, 5,
153). Lorenz von Stein notiert in seiner Geschichte der sozialen Bewegung in
Frankreich von 1789 bis auf unsre Tage, die „Logik des Elends" sei „unerbittlich
gegen die anerkanntesten Ueberzeugungen der Menschheit, und ehe das klare
Bewußtsein entsteht, langt der Instinkt der Freiheit unfehlbar bei dem Punkte
an, wo er seinen mächtigsten wahren Gegner findet", nämlich bei „Eigen-
bewußte Schöpfung, als Kunstwerk. In den Stadtrepubliken wie in den Tyran-
nenstaaten prägt sich dies Leben hundertfältig aus, und bestimmt ihre innere
Gestalt sowohl als ihre Politik nach außen." (Ebd., 2) Burckhardt hält also ein
Verständnis von Staat als kunstanaloger Schöpfung für etwas Neuzeitspezifi-
sches, während GM II 17 die poietische Kraft der Renaissance-Politiker zurück-
projiziert auf eine zeitlich unbestimmt bleibende Staatsursprungssituation.
Burckhardt macht das Neue am bewussten Staatsschöpfertum der Akteure fest,
während der in GM Sprechende seinen blondbestialischen Eroberer-Herrscher-
Künstler-Wundertieren eine unbewusste Schöpferkraft attestiert.
325, 18 f. mindestens aus der Sichtbarkeit geschafft und gleichsam latent ge-
macht worden wäre] Den Gegensatz von Sichtbarkeit und Latenz hat N. bei
Nägeli 1884, 183 f. markiert: „Von den Wellenzügen, /184/ welche die Oberflä-
che modelliren und den Anpassungsveränderungen im Idioplasma entspre-
chen, werden nur die kräftigsten zu sichtbaren Merkmalen, indess die anderen
latent bleiben" (N.s Unterstreichungen).
325, 20-25 Dieser gewaltsam latent gemachte Instinkt der Freiheit — wir
begriffen es schon — dieser zurückgedrängte, zurückgetretene, in's Innere einge-
kerkerte und zuletzt nur an sich selbst noch sich entladende und auslassende
Instinkt der Freiheit: das, nur das ist in seinem Anbeginn das schlechte Ge-
wissen.] Die Fügung „Instinkt der Freiheit" lässt sich bei N. nur an drei Stel-
len, in den drei aufeinander folgenden Abschnitten GM II 16 (322, 31, dort im
Plural), GM II 17 und schließlich GM II 18 nachweisen - dort ebenfalls gesperrt
und mit der Klammererläuterung: „in meiner Sprache geredet: der Wille zur
Macht" (326, 2 f.). Komposita wie ,Freiheitsinstinkt' sucht man bei N. verge-
bens; zu N.s Instinktbegriff im Allgemeinen vgl. z. B. NK KSA 6, 90, 3-8. Der
„Instinkt der Freiheit" ist als stehende Wendung zu N.s Zeit durchaus schon
eingeführt. Im bürgerlichen Lager kann Karl Rosenkranz sie brauchen, wenn
er über die Entstehung des „magischen Handelns" spricht, nämlich „negativ
aus der Verzweiflung des Egoismus, eine Schranke zu haben, positiv aus dem
Instinct der Freiheit, die Natur beherrschen zu können" (Rosenkranz 1875, 1,
382). Im sozialistischen und radikaldemokratischen Lager hat die Wendung
schon lange eine stark politische Färbung: Arnold Ruge berichtet, die demo-
kratische Partei habe „die Tradition der Revolution und den Instinkt der Frei-
heit, welcher alle französischen Herzen durchzieht, für sich" (Ruge 1848, 5,
153). Lorenz von Stein notiert in seiner Geschichte der sozialen Bewegung in
Frankreich von 1789 bis auf unsre Tage, die „Logik des Elends" sei „unerbittlich
gegen die anerkanntesten Ueberzeugungen der Menschheit, und ehe das klare
Bewußtsein entsteht, langt der Instinkt der Freiheit unfehlbar bei dem Punkte
an, wo er seinen mächtigsten wahren Gegner findet", nämlich bei „Eigen-