Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Stellenkommentar GM II 18, KSA 5, S. 325-326 363

dass N.s angeblicher Grundbegriff „Wille zur Macht" an markanten Stellen im
Spätwerk in Einschübe oder Parenthesen gesetzt und ausdrücklich als Aus-
druck des sprechenden „Ich" markiert wird (zu einem anderen markanten Bei-
spiel NK 314, 16-23). Aus diesem Befund könnten unterschiedliche und teilwei-
se unvereinbare Schlussfolgerungen gezogen werden: 1. dass der entsprechen-
de Sachverhalt (hier die Identifikation von Freiheitsinstinkt und Machtwille)
ein besonderes Gewicht habe, 2. dass sich tatsächlich vermeintlich verschie-
denartige empirische Sachverhalte auf einen Begriff bringen ließen, 3. dass
jeweils mit der Betonung seiner eigenen Begriffsschöpfungskraft ein philoso-
phischer Markenkern, ein Wiedererkennungsmerkmal etabliert werden solle
(wobei das mit diesem Wiedererkennungsmerkmal jeweils Bedachte keines-
wegs zwingend zueinander passen muss), 4. dass durch die Einklammerung
und die verbale Subjektivierung gerade Distanz zum Behaupteten geschaffen
werde, also quasi ein Sprechen im Modus des ontologischen Als-Ob erprobt
werde, um so apodiktische ontologische Setzungen, was die Welt ,eigentlich'
sei, in ihrer Lachhaftigkeit zu entlarven. Gerhardt 1996, 225 argumentiert im
Blick auf 326, 2 f., alles Wollen laufe auf „das Gefühl der Befreiung" hinaus, so
dass „Wille und Freiheit in ihrem emotionalen Substrat als eins" erschienen:
„Was er in einer boshaft paradoxen Wendung den ,Instinkt der Freiheit' nennt,
das heißt in seiner Sprache: ,Wille zur Macht'".
326, 19-22 Was wäre denn „schön", wenn nicht erst der Widerspruch sich selbst
zum Bewusstsein gekommen wäre, wenn nicht erst das Hässliche zu sich selbst
gesagt hätte: „ich bin hässlich"?...] Vgl. Hamacher 1997, 91-93 u. Schacht 2004,
124. Die Frage impliziert die ironische Umkehrung im klassischen Ansatz der
Ästhetik, wonach das Hässliche nur eine Beraubung, eine privatio oder
QTepqaig des Schönen sei (vgl. Plotin: Enneaden VI 1, 9). In seiner berühmten
Aesthetile des Hässlichen wendet sich Karl Rosenkranz zwar gegen „den trivia-
len Satz", „die Schönheit bedürfe der Häßlichkeit oder könne sich ihrer doch
wenigstens bedienen, um als Schönheit desto nachdrücklicher zu erschei-
nen; — ähnlich, wie man wohl das Laster zu einer Bedingung der Tugend
macht. Von der dunklen Folie des Häßlichen hebe sich das reine Bild des Schö-
nen um so leuchtender ab." (Rosenkranz 1853, 36) Sein eigener Ansatz er-
scheint freilich auch nur als Variante des Privations- oder Kontrastargumentes:
„Sollen aber Natur und Geist nach ihrer ganzen dramatischen Tiefe zur Darstel-
lung kommen, so darf das natürlich Häßliche, so darf das Böse und Teuflische
nicht fehlen." (Ebd., 39) GM II 18 kehrt nun im Modus der Frage das Verhältnis
von Schönheit und Hässlichkeit um, nimmt es aus dem allgemeinen Weltzu-
sammenhang - der Sphäre des An-sich-Seins - heraus und stellt es zumindest
dem Anspruch nach auf ein hartes psychologisches Fundament: Als schön
wird das empfunden, was das Gegenteil von einem selbst ist: Man nimmt sich
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften