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374 Zur Genealogie der Moral

Auskunft gegeben: „Sodann die Oeoi naTpwot, naTpioi, genau gesprochen
immer vom Staatskultus. Der Begriff ist schwankend, einmal der weitere Sinn:
alle in einem Lande von alters her verehrten Götter, so heißt Apollo in allen
ionischen Staaten naTpwoq. Dann sind, enger gefaßt, die angeerbten Götter
einer Familie, eines Geschlechts zu verstehen. Mehrere Familien bilden ein Ge-
schlecht, mehrere Geschlechter eine ^porrpia, mehrere Phratrien einen Stamm,
mehrere Stämme einen Staat." (KGW II 5, 402, 25-33) „Wenn Geschlechter in
den Verband des Staats eintraten, so überläßt man ihnen offiziell die Vereh-
rung ihrer Geschlechts-Gottheit: man nimmt diese mit in den Kreis der
Stadtgottheiten auf, der Hausdienst wird ein Staatsdienst, an dessen Beste-
hen ist das Heil des Staates geknüpft. So bilden die priesterl. Geschlechter
den festen Kern der Bürgerschaft, an welchen sich die loseren Elemente an-
schlossen. Nun aber hatten sich die Ansprüche der verschiedenen Geschlech-
ter gegen einander auszugleichen, es bedurfte eines Nachdenkens über heili-
ges Recht, so viele Geschlechtskulte zur Einheit zu organisiren. Diese Einheit
der Geschlechtskulte ist im Cultus des öfjpog verwirklicht: während auf
der Grundlage der concentrischen Kreise des Hauses, Geschlechtes Phratrie die
Religion der Stämme beruht, die einen gemeinsamen göttl. Ahnherrn haben;
öijpog ist der der nöÄiq voranliegende Begriff." (KGW II 5, 405, 15-29) Orsucci
1996, 215, Fn. 32 hat nachgewiesen, dass diese Thesen aus Georg Friedrich
Schoemanns Griechischen Alterthümern stammen (Schoemann 1863, 2. 484-
487).
329, 17-21 (Den Übergang machen jene breiten Sklaven- und Hörigen-Bevölke-
rungen, welche sich an den Götter-Cultus ihrer Herren, sei es durch Zwang, sei
es durch Unterwürfigkeit und mimicry, angepasst haben: von ihnen aus fliesst
dann diese Erbschaft nach allen Seiten über.)] Diese sozialgeschichtliche
Dimension der Kult-Imitation und Kult-Adaption in den unterjochten Schich-
ten bleibt beispielsweise bei Julius Lippert peripher, obwohl er im Christentum
durchaus eine Popularisierung des Mysterienkultes sieht (vgl. die in NK 331,
20-29 mitgeteilte Stelle Lippert 1882, 37). Unklar bleibt auch, von welcher kon-
kreten antiken Erscheinung hier die Rede ist; jedenfalls scheint es nicht zwin-
gend, hier wie Cha 2011, 129 an das klassische Athen zu denken. Nach GM I 10
ist der „Sklavenaufstand in der Moral" (270, 25) nicht nur Juden- und Chris-
tentum assoziiert, sondern vor allem ein Umprägungsgeschehen: Die Herren-
Werte seien dabei invertiert worden, was nach GM II 20 offenbar mit den Göt-
tern so nicht geschehen ist.
Zum Begriff „mimicry", den N. sowohl der zeitgenössischen biologischen
als auch der sozialwissenschaftlichen Diskussion entnehmen konnte, ausführ-
lich NK KSA 6, 121, 6-10. N., der auf Mimikry erstmals in M 26, KSA 3, 36, 30 zu
sprechen kommt, war einerseits der biologische Wortgebrauch geläufig: „Die
 
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