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Stellenkommentar GM II 20, KSA 5, S. 329 375

Mimicry oder die Nachahmung eines Thieres durch ein ande-
res. Bates und Wallace gaben den obigen Namen allen jenen Fällen von schüt-
zenden Aehnlichkeiten, in welchen ein sonst schutzloses Thier die Form und
Färbung eines andern, auf besondere Weise geschützten nachahmt und da-
durch höchst wahrscheinlich den Nachstellungen seiner Feinde leichter ent-
geht, als es ohne diese Verkleidung zu thun vermochte." (Semper 1880, 2, 233)
Die breite Diskussion um Mimikry in der Evolutionsbiologie (unter Rückgriff
auf Lamarck) wuchs sich Ende des 19. Jahrhunderts jenseits der Fachbiologie
zur Frage aus, ob es so etwas wie menschliche Mimikry gebe (Cha 2010, 142-
144 u. ö. untersucht diese „Humanmimikry" und auch die zentrale Rolle, die
N. in diesem Debattenfeld spielt). „Der Mimikryinstinkt ist für Nietzsche ein
biologischer Trieb der Demokratisierung par excellence." (Cha 2011, 134) Für
den sozialwissenschaftlichen Gebrauch, den GM II 20 vom „mimicry" macht -
vgl. auch NL 1883, KSA 10, 15[50], 493, 8 f. -, dürfte, worauf Thatcher 1989, 593
hinweist, insbesondere Hellwalds Culturgeschichte richtungsweisend gewesen
sein. Hellwald spricht von „mimicry", um die Konstitution des Römischen Rei-
ches plastisch zu fassen: „Anfangs unruhiger Geister im Innern voll, war das
Schaffen eines Volkstypus, eines Nationalcharakters ein dringendes Gebot der
Selbsterhaltung. Blinder Gehorsam, Mimicry und der — Krieg brachten auch
diesen zu Stande." (Hellwald 1876a-1877a, 1, 444) In den zugehörigen Fußno-
ten wird zustimmend auf Bagehot Bezug genommen und der Tadel zurückge-
wiesen, statt des Wortes „Mimicry" solle besser „das deutsche ,Nachahmungs-
trieb' oder eine sonstige Verdeutschung" verwendet werden: „Ich kann mich
selbst nach reiflicher Ueberlegung zu dieser Abänderung jedoch nicht ent-
schliessen. ,Mimicry' ist in der deutschen Naturwissenschaft allgemein als ter-
minus technicus angenommen worden, weil es dem Naturforscher mehr sagt
als irgend eine Verdeutschung. In diesem naturwissenschaftlichen Sinne ist
das Wort hier angewandt und möge desshalb trotz seiner Härte stehen blei-
ben." (Ebd., Fn.) Ganz auf der Linie von GM II 20 argumentiert Hellwald 1876a-
1877, 1, 510: „Diese Verbreitung des römischen Einflusses rings um das Mittel-
meer rief allmählig eine Neigung zu gleichartigem, übereinstimmenden Den-
ken hervor, und dies ist als die höchste Culturwohlthat des Kaiserthums zu
erachten. So trat denn bald zu Tage, dass die politische Einheit, über eine so
grosse geographische Fläche hergestellt, die Vorläuferin der intellectu-
ellen und daher religiösen Einheit war. Der Polytheismus ward prak-
tisch unverträglich mit dem römischen Reiche und es entsprang eine weitere
Neigung zur Einführung einer Form von Monotheismus, veranlasst durch eine
Neigung zur Gleichförmigkeit unter Leuten, welche durch ein gemeinsames po-
litisches Band verbunden sind. Und wie unbewusst durch Mimicry Völker- und
Charaktertypen gebildet werden, so musste auch die Anerkennung Eines Kai-
 
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