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422 Zur Genealogie der Moral

der Souverainetä t der Musik, so wie sie Schopenhauer begriff: die Musik ab-
seits gestellt gegen alle übrigen Künste, die unabhängige Kunst an sich, nicht,
wie diese, Abbilder der Phänomenalität bietend, vielmehr die Sprache des Wil-
lens selbst redend, unmittelbar aus dem „Abgrunde" heraus, als dessen eigenste,
ursprünglichste, unabgeleitetste Offenbarung.] Diese Souveränitätserklärung der
Musik ist gewiss charakteristisch für Schopenhauers Ästhetik: „Die Musik ist
nämlich eine so unmittelbare Objektivation und Abbild des ganzen Wil-
lens, wie die Welt selbst es ist, ja wie die Ideen es sind, deren vervielfältigte
Erscheinung die Welt der einzelnen Dinge ausmacht. Die Musik ist also keines-
wegs, gleich den anderen Künsten, das Abbild der Ideen; sondern Abbild
des Willens selbst, dessen Objektität auch die Ideen sind: deshalb eben
ist die Wirkung der Musik so sehr viel mächtiger und eindringlicher, als die
der anderen Künste: denn diese reden nur vom Schatten, sie aber vom Wesen."
(Schopenhauer 1873-1874, 2, 304) Zu Wagners Annäherung an diese Sicht sie-
he Glasenapp/Stein 1883, VII-VIII.
346, 2 f. in majorem musicae gloriam] Lateinisch: „zum höheren Ruhm der Mu-
sik." N. hat die alte, auf Papst Gregor I. zurückgehende (Dialogi de vita et mira-
culis patrum Italicorum I 2) und zur Devise des Jesuitenordens gewordene For-
mel „ad maiorem Dei gloriam" („zum höheren Ruhme Gottes") gerne zitiert
(M 298, KSA 3, 222, 5 f.), variiert (AC 51, KSA 6, 231, 7) und noch lieber persifliert
(MA I 171, KSA 2, 159, 6 f.; MA II WS 41, KSA 2, 571, 24).
346, 14 f. ein Telephon des Jenseits] Was muss man sich 1887 unter einem Tele-
phon vorstellen? „Fernsprecher (Telephon), Apparat, welcher gesprochene
Laute auf elektrischem Weg in die Ferne fortpflanzt" (Meyer 1885-1892, 6, 153).
Die technisierte Lebenswelt findet sonst selten in N.s Schriften Eingang.

6.
Die Frage, was das asketische Ideal für den Philosophen bedeute, bildet, nach-
dem GM III 5 sie aufgeworfen, aber noch nicht zu ihrer Beantwortung angesetzt
hat, den Rahmen für eine Erörterung der ästhetischen Theorieentwürfe Kants
und Schopenhauers - kontrastiert mit einem wirkungsvollen Einwand von
Stendhal (347, 12 f.). Kants Ästhetik der „Unpersönlichkeit und Allgemeingül-
tigkeit" (346, 24 f.) zeichne nicht nur wie die meisten philosophischen Ästheti-
ken eine rezeptionsästhetische Perspektivierung aus - Philosophen pflegten
„die Kunst und das Schöne" (346, 30) aus der Optik des „,Zuschauer[s]'" (346,
31), nicht des Kunstschaffenden zu konzeptualisieren -, sondern sie komme
überhaupt ohne eigene, persönliche Erfahrung aus, so dass sie leicht von Inte-
 
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