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440 Zur Genealogie der Moral

nuskript). GM III 8 wird dann weiter ausführen, dass der in den Philosophen
wirksame „Wille[.] zur ,Wüste'" (352, 24 f.) keineswegs die „Theater-Wüste"
(353, 4) meint, also tatsächlich menschenleere Gefilde mit Sanddünen und ei-
ner unbarmherzigen Sonne: „oh wie anders sieht sie aus, als die Gebildeten
sich eine Wüste träumen! — unter Umständen sind sie es nämlich selbst, diese
Gebildeten" (352, 32-353, 1). Die Wüste der Philosophen ist also nichts weiter
als ein Refugium, das innere Abgeschiedenheit, Absenz vom Weltgetriebe er-
laubt, selbst wenn man in loser Gesellschaft lebt (und kann, ließe sich zurück-
fragen - vgl. NK 350, 28-351, 4 - nicht gerade die eben geschmähte Ehe eine
für Philosophen fruchtbare, weil von der allgemeinen Geschäftigkeit isolieren-
de Wüste sein?). Ein Seitenblick auf Za I Von den drei Verwandlungen kann zu
erklären helfen, was der mit „gesetzt selbst" eingeleitete Nachsatz 351, 17-19
meint: In der berühmten ersten Rede Zarathustra ist es nicht der Esel, sondern
das Kamel - der „tragsame Geist", der „beladen in die Wüste eilt" (KSA 4, 30,
3 f.) -, bevor es sich in den Löwen verwandelt und alle überkommenen Werte
von sich stößt. Der Aufbruch in die Wüste - christliche Asketen beweisen es
ohnehin - bietet noch keine Gewähr dafür, dass hier nicht ein strenger Dogma-
tiker bestehende Spuren nutzt, alte Spuren einfach abgeht, anstatt neue zu
legen, das Eigene zu tun. Der Wüste bedürftig zu sein, ist noch kein Beweis für
Geistesstärke, verstanden als Stärke, das von sich abwerfen zu können, was
jedermann für unabdingbar hält - und als Stärke, das zu tun und zu denken,
was noch keiner vorher getan und gedacht hat.
351, 26 f. pereat mundus, fiat philosophia, fiat philosophus, fiam!...] Lateinisch:
„Gehe die Welt auch darüber zugrunde, die Philosophie soll sein, der Philo-
soph soll sein, ich soll sein!". Die besonders als Wahlspruch von Kaiser Ferdi-
nand I. (1503-1564) berühmte gewordene Devise „fiat iustitia et pereat mun-
dus" („es soll Gerechtigkeit sein, gehe die Welt auch darüber zugrunde") wird
gerne variiert und permutiert. Im Kapitel „Ueber Religion" seiner Parerga und
Paralipomena lässt Schopenhauer seine Dialogpartner „iustitia" probehalber
durch „veritas" (Wahrheit) und „pilulae" (Pillen) ersetzen (Schopenhauer
1873-1874, 6, 347). Mit der „veritas" versucht auch N. es in NL 1873, KSA 7,
29[8], 623, 27 f. und UB II HL 4, KSA 1, 272, 9. Interessanter für den vorliegenden
Zusammenhang ist allerdings eine weitere Stelle in den Parerga, die vom Le-
benswillen handelt und damit von der in GM III 7 ja in den Vordergrund gestell-
ten Frage, wie eine bestimmte Lebensform (hier die philosophische) ihr „Opti-
mum" erreicht: „das Ding an sich, der Wille zum Leben, ist in jedem Wesen,
auch dem geringsten, ganz und ungetheilt vorhanden, so vollständig, wie in
allen, die je waren, sind und seyn werden, zusammen genommen. Hierauf
eben beruht es, daß jedes Wesen, selbst das geringste, zu sich sagt: dum ego
salvus sim, pereat mundus." (Schopenhauer 1873-1874, 6, 236) Genau diese
 
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