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448 Zur Genealogie der Moral

Lorbeer ist das fürstliche Vertraun, / Das auf den Schultern dir, als liebe Last /
Gehäuft und leicht getragen ruht; es ist / Dein Ruhm das allgemeine Zutraun. /
Antonio. / Und von der Gunst der Frauen sagst du nichts, / Die willst du mir
doch nicht entbehrlich schildern?" (Goethe 1853-1858, 13, 173) Weder Staatsse-
kretär Antonio Montecatino noch Gräfin Leonore Sanvitale von Scandiano kön-
nen bei Goethe auf den Philosophen-Lorbeer Anspruch erheben.
354, 29-31 in gleichem Sinne, wie der Instinkt der Mutter im Weibe die abhän-
gige Lage des Weibes überhaupt bisher festgehalten hat] Die Abhängigkeit der
Frau ist in der für Frauenemanzipation eintretenden Publizistik der Zeit ein
großer Stein des Anstoßes, vgl. z. B. Mill 1872 und Bebel 1883, 14, 36, 61 u. 96.
Die Pointe von 354, 29-31 ist nicht, dass die Frauen nun wiederum auf eine
angeblich natürliche Abhängigkeit vom Manne festgelegt werden sollen, wie
man es N. mit seiner notorischen „Femininismus"-Kritik (vgl. NK KSA 6, 303,
19-22) nachzusagen geneigt sein mag. Vielmehr erscheint es gerade als listige
Strategie der Frauen, sich in Abhängigkeit zu halten, um damit für optimale
Brutbedingungen zu sorgen. Natürlich, wird man dagegen einwenden, redu-
ziert auch diese Sicht die Frauen auf ihre Funktion als Gebärmaschinen. Da
mag es tröstlich sein, dass auch die Philosophen nach GM III 8 nichts wesent-
lich anderes sind: Gedanken- und Werkgebärmaschinen. Vgl. NK 382, 30-32.
354, 32 ihr Wahlspruch ist „wer besitzt, wird besessen"] Nach William David
Williams (Nietzsche 1972, 149) handle es sich hier um die Übersetzung von
einem der italienischen Lieblingssprichworte N.s, das Williams allerdings nicht
nennt und Thatcher 1989, 594 f. nicht dingfest machen kann, der stattdessen
an eine Sentenz des Kynikers Bion von Borysthenes erinnert, die Diogenes
Laertius: De vitis IV 50 überliefert und die an einen „filzigen Reichen" adres-
siert ist: ,„ovx oÜTog' e^p, ,Tqv ovotav K£KTriTaL, dÄA' q ovoia tovtov"' („der
besizt [sic] sein Vermögen nicht, sondern es besizt ihn". Diogenes Laertius
1807, 1, 272 f.). Zudem hält Thatcher eine Anspielung auf Emersons The Conduct
of Life für möglich: „If a man own [sic] land, the land owns him." (Emerson
1866, 2, 357. N. hat es in der deutschen Ausgabe gelesen: Emerson 1862, 81:
„[W]enn jemand Land besitzt, so besitzt das Land ihn".) Freilich ist der Spruch
exakt in dem deutschen Wortlaut, den N. benutzt, die allererste Kapitelüber-
schrift in der „Frauen-Novelle" Achtzehn Töchter von Leopold Schefer (Schefer
1847, 1). Eine Bekanntschaft N.s mit Schefers einst populärem Werk ist aller-
dings nicht nachweisbar.
355, 6-11 Es dünkt ihr ein schlechter Geschmack, den Märtyrer zu machen; „für
die Wahrheit zu leiden" — das überlässt sie den Ehrgeizigen und Bühnenhelden
des Geistes und wer sonst Zeit genug dazu hat (— sie selbst, die Philosophen,
haben Etwas für die Wahrheit zu thu n).] Das Motiv, dass das Martyrium nichts
 
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