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470 Zur Genealogie der Moral

Empfindung des Schmerzes. Der Schmerz ist also eine Täuschung (bhrama),
welche davon herrührt, dass wir unser Ich nicht unterscheiden von den Be-
stimmungen wie Leib, Sinne u. s. w., welche aus dem durch das Nichtwissen
gesetzten Reiche der Namen und Gestalten entspringen ([...]). Somit beruht der
Schmerz nur auf einer falschen Einbildung" (ebd., 322). Vgl. NK 378, 32-379, 6.
364, 17-23 (Anbei gesagt: selbst noch in dem Kantischen Begriff „intelligibler
Charakter der Dinge" ist Etwas von dieser lüsternen Asketen-Zwiespältigkeit
rückständig, welche Vernunft gegen Vernunft zu kehren liebt: „intelligibler Cha-
rakter" bedeutet nämlich bei Kant eine Art Beschaffenheit der Dinge, von der der
Intellekt gerade soviel begreift, dass sie für den Intellekt — ganz und gar
unbegreiflich ist.)] Zur Geschichte des Kantischen Begriffs des „intelligib-
len Charakters" siehe NK KSA 5, 55, 32 f. Zwar hat N. bei der Lektüre von Fi-
scher 1869, 4, 421-423 Exzerpte angefertigt, die den Begriff korrekt auf mensch-
liche Subjekte anwenden (NL 1886, KSA 12, 7[4], 268, 12-21, vgl. z. B. Immanuel
Kant: Kritik der reinen Vernunft B 567), aber bereits in JGB 36 spricht er - viel-
leicht vor dem Hintergrund von Schopenhauers Entgrenzung des Begriffs
(Schopenhauer 1873-1874, 2, 185 f., vgl. dazu auch Hödl 2005, 189 u. Estadieu
2019) - vom „intelligiblen Charakter" der „Welt" (KSA 5, 55, 32 f.). Das schein-
bare Kant-Zitat in GM III 12 ist keines (zur Interpretation vgl. auch Marton 2016,
49 f.). Hingegen handelt vom „intelligiblen Charakter der Dinge" ausführlich
Ludwig Noire in seiner Grundlegung einer zeitgemässen Philosophie - ein Buch,
das N. 1875 zwar zunächst erwerben zu wollen schien, dann aber an den Buch-
händler zurückschickte. Darin konnte N. lesen: „Empirisch ist nach Kant alles
das, was von aussen gegeben ist und was unsere Vernunft in ihr ursprüngli-
ches Material; Raum, Zeit und Causalität verwandelt. So entstehen unsere Vor-
stellungen. Das ist die empirische Causalität der Dinge, wie sie uns erscheinen.
Aber die Vorstellungen als solche mussten doch auch eine Causalität haben;
ebenso wie alle anderen Dinge. Das wäre der intelligible Charakter der Dinge."
(Noire 1875, 46) Noire macht nun diesen „intelligiblen Charakter der Dinge"
zum Leitbegriff seiner Philosophie und gelangt dabei zu Definitionen wie: „Die
Aufgabe der Kunst ist die Darstellung des intelligiblen Charakters
der Dinge." (Ebd., 81) Oder: „Es hat also jede Wissenschaft zugleich die Aufga-
be, den intelligiblen Charakter der Dinge zu erforschen" (Ebd., 86). Aufgenom-
men wird die Wendung dann z. B. bei Koeber 1880, 27.
364, 30 f. letztere nicht als „interesselose Anschauung" verstanden (als welche
ein Unbegriff und Widersinn ist)] Vgl. NK KSA 5, 52, 2-14 u. NK 347, 5-11.
364, 31-365, 1 das Vermögen, sein Für und Wider in der Gewalt zu haben
und aus- und einzuhängen: so dass man sich gerade die Verschiedenheit
der Perspektiven und der Affekt-Interpretationen für die Erkenntniss nutzbar zu
 
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