Stellenkommentar GM III 14, KSA 5, S. 367-368 485
al als deren Symptom. Das therapeutische Mittel der Wahl ist allerdings gerade
die Konfrontation mit dem Übel und nicht die Abschottung: Aussicht auf Bes-
serung hat nur, wer sich in die trübe Moralgeschichte hineinfrisst. Also wer
sich ihr aussetzt, anstatt ihr auszuweichen und sich abzusondern.
Morrisson 2001, 138-144 deutet im Blick auf GM III 14 den Nihilismus als
Verbindung aktiven Wollens und passiven Empfindens.
367, 31-368, 1 nicht von den Stärksten kommt das Unheil für die Starken, son-
dern von den Schwächsten] Dieser Befund steht in Spannung zu den Darlegun-
gen in GM II 16, wie die Menschen ursprünglich zu einem schlechten Gewissen
gekommen sind, nämlich durch die erzwungene Umlenkung ihrer Triebener-
gie, die auf die plötzliche Unterwerfung durch noch Stärkere, durch rücksichts-
lose Eroberer zurückging, siehe z. B. NK 325, 20-25.
368, 5-9 Was zu fürchten ist, was verhängnissvoll wirkt wie kein andres Ver-
hängniss, das wäre nicht die grosse Furcht, sondern der grosse Ekel vor dem
Menschen; insgleichen das grosse Mitleid mit dem Menschen.] Die Konstella-
tion erinnert an die Anekdoten zur Jugend des Prinzen Siddhartha Gautama,
der, einst dem väterlichen Palast entflohen, dem Alter, der Krankheit, dem Tod
begegnet und schließlich erkennt, dass alles Leben Leiden ist, Buddha wird
und durch Mitleid den Ekel überwindet. In der Selbsterlösungslehre Buddhas
ist das Mitleid also nicht negativ, sondern positiv mit dem Ekel korreliert. „Die
spätere Zeit hat den Wunsch gehabt, in concreten Erlebnissen veranschaulicht
zu sehen, wie dem Jungen, Gesunden, Lebensfrischen die Gedanken von Alter,
Krankheit und Tod zum erstenmal und mit entscheidender Gewalt nahe getre-
ten sind und wie er dann auf den Weg, der über die Macht alles Leidens hin-
wegführt, durch ein bedeutungsvolles Vorbild hingewiesen worden ist. So er-
fand man, oder vielmehr man übertrug auf die Jugend Gotama's eine Legende,
die von einem der sagenhaften Buddha's vergangener Zeitalter erzählt wurde:
die bekannte Geschichte von den vier Ausfahrten des Jünglings nach den Gär-
ten vor der Stadt, auf denen ihm die Bilder der Vergänglichkeit alles Irdischen
nach einander in der Gestalt eines hülflosen Greises, eines schwer Kranken
und eines Todten entgegentreten, und ihm endlich ein Mönch mit geschore-
nem Haupt im gelben Gewände begegnet, ein Bild des Friedens und der Erlö-
sung von allem Leid der Vergänglichkeit." (Oldenberg 1881, 105) In der wohl
viel ursprünglicheren Lehrrede ist es gerade der Ekel, der im Zentrum steht,
wenn Buddha zu seinen Jüngern über seine Jugend spricht: „Mit solchem
Reichthum, ihr Jünger, war ich begabt, in solch übergrosser Herrlichkeit lebte
ich. Da erwachte in mir dieser Gedanke: ,ein thörichter Alltagsmensch, ob er
gleich selbst dem Altern unterworfen und von des Alters Macht nicht frei ist,
fühlt Abscheu, Widerwillen und Ekel, wenn er einen Andern im Alter sieht: der
al als deren Symptom. Das therapeutische Mittel der Wahl ist allerdings gerade
die Konfrontation mit dem Übel und nicht die Abschottung: Aussicht auf Bes-
serung hat nur, wer sich in die trübe Moralgeschichte hineinfrisst. Also wer
sich ihr aussetzt, anstatt ihr auszuweichen und sich abzusondern.
Morrisson 2001, 138-144 deutet im Blick auf GM III 14 den Nihilismus als
Verbindung aktiven Wollens und passiven Empfindens.
367, 31-368, 1 nicht von den Stärksten kommt das Unheil für die Starken, son-
dern von den Schwächsten] Dieser Befund steht in Spannung zu den Darlegun-
gen in GM II 16, wie die Menschen ursprünglich zu einem schlechten Gewissen
gekommen sind, nämlich durch die erzwungene Umlenkung ihrer Triebener-
gie, die auf die plötzliche Unterwerfung durch noch Stärkere, durch rücksichts-
lose Eroberer zurückging, siehe z. B. NK 325, 20-25.
368, 5-9 Was zu fürchten ist, was verhängnissvoll wirkt wie kein andres Ver-
hängniss, das wäre nicht die grosse Furcht, sondern der grosse Ekel vor dem
Menschen; insgleichen das grosse Mitleid mit dem Menschen.] Die Konstella-
tion erinnert an die Anekdoten zur Jugend des Prinzen Siddhartha Gautama,
der, einst dem väterlichen Palast entflohen, dem Alter, der Krankheit, dem Tod
begegnet und schließlich erkennt, dass alles Leben Leiden ist, Buddha wird
und durch Mitleid den Ekel überwindet. In der Selbsterlösungslehre Buddhas
ist das Mitleid also nicht negativ, sondern positiv mit dem Ekel korreliert. „Die
spätere Zeit hat den Wunsch gehabt, in concreten Erlebnissen veranschaulicht
zu sehen, wie dem Jungen, Gesunden, Lebensfrischen die Gedanken von Alter,
Krankheit und Tod zum erstenmal und mit entscheidender Gewalt nahe getre-
ten sind und wie er dann auf den Weg, der über die Macht alles Leidens hin-
wegführt, durch ein bedeutungsvolles Vorbild hingewiesen worden ist. So er-
fand man, oder vielmehr man übertrug auf die Jugend Gotama's eine Legende,
die von einem der sagenhaften Buddha's vergangener Zeitalter erzählt wurde:
die bekannte Geschichte von den vier Ausfahrten des Jünglings nach den Gär-
ten vor der Stadt, auf denen ihm die Bilder der Vergänglichkeit alles Irdischen
nach einander in der Gestalt eines hülflosen Greises, eines schwer Kranken
und eines Todten entgegentreten, und ihm endlich ein Mönch mit geschore-
nem Haupt im gelben Gewände begegnet, ein Bild des Friedens und der Erlö-
sung von allem Leid der Vergänglichkeit." (Oldenberg 1881, 105) In der wohl
viel ursprünglicheren Lehrrede ist es gerade der Ekel, der im Zentrum steht,
wenn Buddha zu seinen Jüngern über seine Jugend spricht: „Mit solchem
Reichthum, ihr Jünger, war ich begabt, in solch übergrosser Herrlichkeit lebte
ich. Da erwachte in mir dieser Gedanke: ,ein thörichter Alltagsmensch, ob er
gleich selbst dem Altern unterworfen und von des Alters Macht nicht frei ist,
fühlt Abscheu, Widerwillen und Ekel, wenn er einen Andern im Alter sieht: der