544 Zur Genealogie der Moral
man nur sieht, überall der hypnotische Blick des Sünders, der sich immer in der
Einen Richtung bewegt (in der Richtung auf „Schuld", als der e inzigen Leidens-
Causalität)] Vgl. die in NK 327, 18-22 f. mitgeteilte Stelle aus Lippert 1882, 17.
Unmittelbar davor heißt es: „Einen nicht minder materiellen Ursprung hat der
Begriff der Sünde, Sünder. Die etymologischen Versuche sind nicht darüber hi-
nausgekommen, den Zusammenhang mit Sühne zu constatiren und die Sünde
als das ,zu Sühnende' zu erklären. Die Sünde besteht also — auf dem Stand-
punkte wenigstens, über welchen unsere Germanen nicht hinauskamen — so
lange die Sühne nicht vollzogen ist, und ist demnach eigentlich die ungetilgte
Sühnschuld. Denken wir nun daran, wie im alten Bunde der Mensch ,durch
das Blut versöhnt' [Fn.: 3. Mose 17, 11] d. h. wie seine Sühnschuld durch das
Blut getilgt wurde, und erinnern wir uns, wie er zu dieser Sühnschuld, die
durch Abtretung alles Blutes an Gott abgelöst wurde, gekommen war! War die-
se Sühnschuld etwa in unserem Sinne eine Strafe für vorangegangene Verge-
hen, war sie moralischer oder ethischer Art? Ganz entschieden /17/ nicht, so
sehr das auch eine spätere Zeit, von moralischem Antriebe gedrängt, so deuten
mochte. Es ist ausserordentlich wesentlich, dies festzuhalten. Jene Blutheili-
gung war die ,Lösung' von jener alten Opferschuld, die nach ,Einem und dem
Andern' unter den Menschen griff, und diese Opferschuld wieder lernten wir
als die Erbschaft eines älteren Seelencultes kennen." (Lippert 1882, 16 f.)
390, 2 f. dies „grewliche thier", mit Luther zu reden] Das Zitat stammt wie die
anderen (angeblichen) Luther-Zitate in GM aus Erich Schmidts Aufsatz „Faust
und das sechzehnte Jahrhundert": „Die Ge-/10/wissenspein hat er [sc. Luther],
der nach mönchischen Qualen endlich den frohen Gottesfrieden gefunden,
aber die ernste Kenntnis seelischer Krankheit mitgenommen und noch man-
chen Strauß durchzukämpfen hatte, im Wittenberger Colleg geschildert: ,So
ein böse Bestia vnd böser Teuffel ist die Conscientia. Denn alle Scribenten,
beide so die heilige Schrifft, vnd auch heidnische Historien beschreiben, haben
das Monstrum (dis grewliche Thier) erschrecklich abgemalet, wie das an Oreste
vnd andern Vbelthetern zu sehen ist." (Schmidt 1882a, 90 = Schmidt 1886, 9 f.)
Vgl. NK 357, llf.; NK 394, 24 u. NK 394, 27 f.
390, 4 das „grüne Auge" für alles Thun] Die grünen Augen sind hier sichtlich
negativ konnotiert und stehen für einen abschätzigen, bösen Blick. „Grüne Au-
gen nehmen in Novellen und Romanen denselben Rang ein, wie die rothen
Haare, sie gehören den Intrigants, den Bösewichtern. ,Seh' ich Augen grün wie
Gras, / Und das Antlitz fahl und blaß, / Möchte nicht der Gärtner sein, / Der
im Grünen schlummert ein -' singt der Parodist der blauen Augenhymne."
(Gayette 1866, 5) Besonders fasziniert haben seit je die grünen Augen der Raub-
tiere und Katzen, von deren eindringlichem Blick auch in einem nachgelasse-
man nur sieht, überall der hypnotische Blick des Sünders, der sich immer in der
Einen Richtung bewegt (in der Richtung auf „Schuld", als der e inzigen Leidens-
Causalität)] Vgl. die in NK 327, 18-22 f. mitgeteilte Stelle aus Lippert 1882, 17.
Unmittelbar davor heißt es: „Einen nicht minder materiellen Ursprung hat der
Begriff der Sünde, Sünder. Die etymologischen Versuche sind nicht darüber hi-
nausgekommen, den Zusammenhang mit Sühne zu constatiren und die Sünde
als das ,zu Sühnende' zu erklären. Die Sünde besteht also — auf dem Stand-
punkte wenigstens, über welchen unsere Germanen nicht hinauskamen — so
lange die Sühne nicht vollzogen ist, und ist demnach eigentlich die ungetilgte
Sühnschuld. Denken wir nun daran, wie im alten Bunde der Mensch ,durch
das Blut versöhnt' [Fn.: 3. Mose 17, 11] d. h. wie seine Sühnschuld durch das
Blut getilgt wurde, und erinnern wir uns, wie er zu dieser Sühnschuld, die
durch Abtretung alles Blutes an Gott abgelöst wurde, gekommen war! War die-
se Sühnschuld etwa in unserem Sinne eine Strafe für vorangegangene Verge-
hen, war sie moralischer oder ethischer Art? Ganz entschieden /17/ nicht, so
sehr das auch eine spätere Zeit, von moralischem Antriebe gedrängt, so deuten
mochte. Es ist ausserordentlich wesentlich, dies festzuhalten. Jene Blutheili-
gung war die ,Lösung' von jener alten Opferschuld, die nach ,Einem und dem
Andern' unter den Menschen griff, und diese Opferschuld wieder lernten wir
als die Erbschaft eines älteren Seelencultes kennen." (Lippert 1882, 16 f.)
390, 2 f. dies „grewliche thier", mit Luther zu reden] Das Zitat stammt wie die
anderen (angeblichen) Luther-Zitate in GM aus Erich Schmidts Aufsatz „Faust
und das sechzehnte Jahrhundert": „Die Ge-/10/wissenspein hat er [sc. Luther],
der nach mönchischen Qualen endlich den frohen Gottesfrieden gefunden,
aber die ernste Kenntnis seelischer Krankheit mitgenommen und noch man-
chen Strauß durchzukämpfen hatte, im Wittenberger Colleg geschildert: ,So
ein böse Bestia vnd böser Teuffel ist die Conscientia. Denn alle Scribenten,
beide so die heilige Schrifft, vnd auch heidnische Historien beschreiben, haben
das Monstrum (dis grewliche Thier) erschrecklich abgemalet, wie das an Oreste
vnd andern Vbelthetern zu sehen ist." (Schmidt 1882a, 90 = Schmidt 1886, 9 f.)
Vgl. NK 357, llf.; NK 394, 24 u. NK 394, 27 f.
390, 4 das „grüne Auge" für alles Thun] Die grünen Augen sind hier sichtlich
negativ konnotiert und stehen für einen abschätzigen, bösen Blick. „Grüne Au-
gen nehmen in Novellen und Romanen denselben Rang ein, wie die rothen
Haare, sie gehören den Intrigants, den Bösewichtern. ,Seh' ich Augen grün wie
Gras, / Und das Antlitz fahl und blaß, / Möchte nicht der Gärtner sein, / Der
im Grünen schlummert ein -' singt der Parodist der blauen Augenhymne."
(Gayette 1866, 5) Besonders fasziniert haben seit je die grünen Augen der Raub-
tiere und Katzen, von deren eindringlichem Blick auch in einem nachgelasse-