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576 Zur Genealogie der Moral

zur „Wiederherstellung der Kirche" geführt hat). Zur Unterscheidung esote-
risch/exoterisch vgl. NK 409, 10-15; „exoterisch" kommt in GM explizit nur in
402, 17 vor.
402, 17-22 Diese Beiden, Wissenschaft und asketisches Ideal, sie stehen ja auf
Einem Boden — ich gab dies schon zu verstehn —: nämlich auf der gleichen
Überschätzung der Wahrheit (richtiger: auf dem gleichen Glauben an die Unab-
schätzbarkeit, Unkritisirbarkeit der Wahrheit), eben damit sind sie sich noth-
wendig Bundesgenossen] Ganz so steht das nicht in GM III 24: dass das asketi-
sche Ideal per se auch die Wahrheit wolle, ist neu, vielmehr erscheint in
GM III 24 die Wahrheitsfokussierung als Ausdruck des asketischen Ideals, weil
sie erstens Fokussierung ist und zweitens Wahrheit als Metaphysicum theolo-
gisch-asketisch angekränkelt anmutet. Warum sollte das asketische Ideal als
solches an der Wahrheit interessiert sein?
402, 27-32 Die Kunst, vorweg gesagt, denn ich komme irgendwann des Länge-
ren darauf zurück, — die Kunst, in der gerade die Lüge sich heiligt, der Wille
zur Täuschung das gute Gewissen zur Seite hat, ist dem asketischen Ideale
viel grundsätzlicher entgegengestellt als die Wissenschaft] Das hier namhaft ge-
machte Konzept einer aus Lebensinteresse täuschenden Kunst, die einer aske-
tischen Wissenschaft entgegengestellt ist, zeichnet sich schon in GT mit der
Kritik am Sokratismus und der therapeutischen Funktion tragischer Kunst ab,
vgl. Janaway 2014, 47 f. In JGB 2, KSA 5, 16, 2 f. wird erwogen, dass der „Wille
zur Wahrheit aus dem Willen zur Täuschung" hervorgegangen sein könnte,
vgl. dazu NK KSA 5, 15, 4 (die Fügung „Wille zur Täuschung" zur Charakterisie-
rung von Erkenntnis auch in NL 1886/87, KSA 12, 7[54], 313, 3). In GM III 5,
KSA 5, 344, 23-25 wird noch behauptet, die asketischen Ideale würden eigent-
lich für den Künstler nichts oder vielerlei bedeuten. Von einer Fundamentalop-
position der Kunst zum asketischen Ideal ist dort nicht die Rede. Die kann erst
in GM III 25 konstruiert werden, weil hier asketisches Ideal und Wahrheit eng
aneinandergekoppelt werden. Im Unterschied zu N.s Frühwerk, namentlich N.s
Basler Antrittsvorlesung über Homer und die klassische Philologie (KGW II 1,
247-269, dazu Sommer 1997a, 18-29), werden Wissenschaft und Kunst nun so
radikal getrennt, dass jede Form der Synthese in weite Ferne rückt. Dies freilich
bedeutet nicht, dass das in GM III 25 sprechende „Ich" die Wissenschaft ganz
der Vernichtung anheimstellen will, weil sie selbst asketisch -nihilistisch er-
krankt ist; es bedeutet aber auch nicht, dass die Kunst nun die Kuratel über
die Wissenschaft übernehmen sollte, denn die Kunst als „Wille zur Täuschung"
mag zwar in vielen Sphären enorm leistungsfähig sein - Kunst als Weltvermeh-
rung, als Völlerei im Schaffen und dadurch antiasketisch, während Wissen-
schaft im Geruch von Weltverminderung, Weltverkleinerung steht. Aber der
 
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