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Stellenkommentar GM III 25, KSA 5, S. 403-404 579

den Verlust der christlichen Gewissheit, im Zentrum von Gottes Aufmerksam-
keit zu stehen - als „,Kind Gottes'" (vgl. z. B. Galater 4, 7; Römer 8, 17 u. 1. Jo-
hannesbrief 3, 1; NK KSA 6, 200, 7-9 205, 28-31) selber „Gottmensch" (OeToq
dvf[p) oder der Fürsorge des Erlösers Jesus Christus sicher, der gleichzeitig
wahrer Mensch und wahrer Gott sein soll. In NL 1886/87, KSA 12, 7[6], 280,
4 f. wird der Begriff der „Selbstverkleinerung" zwar auch auf eine spezifisch
neuzeitliche Konstellation angewandt, steht dort aber in einem ganz bestimm-
ten Kontext, nämlich dem der Herdenmoral nach dem Ende des Gottesglau-
bens, zu dem auch „der melancholische Scharfsinn der Selbstverkleinerung in
Europa (Pascal, Larochefoucauld)" zählt. Die Selbstverkleinerung ist dort also
mit zwei Denkerpersönlichkeiten des 17. Jahrhunderts assoziiert, die ein pessi-
mistisch-negativistisches Menschenbild pflegen, das sich entweder - bei Pas-
cal - direkt aus der Erbsündentheologie speist oder - bei La Rochefoucauld -
den Glauben an die Erbsündenverworfenheit ins Profane transponiert. In die-
ser Aufzeichnung ist „Selbstverkleinerung" also noch keineswegs ein generel-
les Kennzeichen neuzeitlicher Anthropologie. Überraschen mag dabei, dass der
,Entdeckungszusammenhang' der Selbstverkleinerung bei N. nicht die Wissen-
schafts- oder Philosophiegeschichte der Neuzeit, sondern vielmehr die antike
Ethik gewesen ist, genauer: diejenige des Aristoteles. In NL 1883, KSA 10, 8[15],
338, 29 f. heißt es: „allgemeines Leiden der Modernen: ,Selbstverkleinerung'
p. 399". Die Stellenangabe bezieht sich auf Schmidts Ethik der alten Griechen,
wo es am fraglichen Ort um das „Wesen des im engeren Sinne ,Wahrhaften'"
geht, das bei Aristoteles „offene Selbstdarstellung" sei (Schmidt 1882, 2, 399;
Unterstreichung von N.s Hand): „Die aristotelische Auffassung, dass jede Tu-
gend zwischen zwei Fehlern in der Mitte liegt trifft wohl in wenigen Fällen so
vollständig zu wie in diesem, denn hier besteht die eine Abweichung von dem
Richtigen in dem Verhalten dessen, der mehr, die andere in dem dessen, der
weniger scheinen will als er ist: der erstere ist der Prahler, der letztere der
Selbstverkleinerer oder, wie er mit einem vielbesprochenen griechischen Aus-
drucke genannt wird, der Eiron [...]. Vielleicht unter dem mitwirkenden Ein-
flüsse der engeren Beziehung, welche der Begriff des Wahrhaften erhalten hat-
te, gewöhnte man sich dabei vorherrschend an den zu denken, der sein eigenes
Wissen, Können und Thun geflissentlich herabmindert; offenbar war diese
Auffassung zur Zeit des Aristoteles die allgemeine und war es wohl etwa seit
dem Auftreten des Sokrates geworden, der gewissermaassen als Typus einer
solchen für die Griechen ziemlich befremdenden Art des Verhaltens galt [...].
Seine Weise machte durchaus den Eindruck dessen, was durch unsere Rede-
wendung ,hinter dem Berge halten' bezeichnet wird, mochte aber /400/ von
Vielen sogar als das empfunden werden, was wir ,Hinterhältigkeit' nennen,
und in der That ist der eine wie der andere deutsche Ausdruck geeignet um im
 
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