Stellenkommentar GM III 28, KSA 5, S. 411-412 601
satz „Unbearable Suffering", von GM III 28 ausgehend, ob „Sinn" hier notwen-
dig als Zweck oder doch einfach nur als Erklärung aufgefasst werden könne.
Er folgert: „we have one relevant sense in which suffering might have a mean-
ing: that it has an appropriate relation to a purpose that has authority for the
sufferer" (Williams 2006, 333). Dasjenige, was dieser Zweck sein könnte, ist
dann für Williams wie für N.s Sprecherinstanz das Leben selbst (vgl. ebd., 337).
Dass damit nichts wirklich erklärt werde, stellt Klaiber 2017 scharfsinnig he-
raus.
411, 16-22 Der Mensch, das tapferste und leidgewohnteste Thier, verneint an
sich nicht das Leiden: er will es, er sucht es selbst auf, vorausgesetzt, dass
man ihm einen Sinn dafür aufzeigt, ein Dazu des Leidens. Die Sinnlosigkeit
des Leidens, nicht das Leiden, war der Fluch, der bisher über der Menschheit
ausgebreitet lag, — und das asketische Ideal bot ihr einen Sinn!]
Man könnte mutmaßen, das Leiden sei gerade zur Intensivierung des Lebens
da - in dieser Intensivierung liege sein neuer Sinn, auch wenn GM III 28 das
keineswegs explizit behauptet. Könnten wir uns ständig glücklich und leidlos
halten, wäre dann nicht alles wertlos? Wie viel Leiden ist also nötig, für das in
GM sprechende „Ich", für uns? Aber ist die Idee einer Notwendigkeit des Lei-
dens nicht ein Relikt des asketischen Ideals? Den Priestern wird ja gerade vor-
geworfen, dass sie das Leiden verlängern statt abschaffen wollten. Ist jedoch
heroischer amor fati nicht ebenfalls eine asketische Ideologie, die eigentlich
an der Leidensverstetigung interessiert ist? Vgl. auch May 2009, 99; May 2011a,
lO f. u. May 2011b, 78, ferner Gardner 2009, 25-28, der aus GM III 28 ein Argu-
ment gegen eine naturalistische N.-Interpretation gewinnen will, sowie Poell-
ner 2009, 172, der in GM III 28 eine Verbindung von phänomenalem Werteob-
jektivismus und metaphysischem Antiobjektivismus belegbar findet. Gemes/
Sykes 2014, 81 argumentieren, die in 411, 19-22 artikulierte Sichtweise werde
bereits in GT vertreten. Angehrn 2017, 159 gleicht die Einsicht, nicht das Lei-
den , sondern dessen Sinnlosigkeit sei das Problem, mit Adorno und Levinas
ab.
411, 24 „faute de mieux"] Französisch: „in Ermangelung eines Besseren".
Siehe Negri 2015.
411, 31-412, 1 er hatte einen Sinn, er war fürderhin nicht mehr wie ein Blatt im
Winde, ein Spielball des Unsinns, des „Ohne-Sinns"] Vgl. Za I Von der schenken-
den Tugend 2, KSA 4, 100, 14-16: „Noch kämpfen wir Schritt um Schritt mit
dem Riesen Zufall, und über der ganzen Menschheit waltete bisher noch der
Unsinn, der Ohne-Sinn."
412, 14-16 Und, um es noch zum Schluss zu sagen, was ich Anfangs sagte: lieber
will noch der Mensch das Nichts wollen, als nicht wollen...] Dieser Satz
satz „Unbearable Suffering", von GM III 28 ausgehend, ob „Sinn" hier notwen-
dig als Zweck oder doch einfach nur als Erklärung aufgefasst werden könne.
Er folgert: „we have one relevant sense in which suffering might have a mean-
ing: that it has an appropriate relation to a purpose that has authority for the
sufferer" (Williams 2006, 333). Dasjenige, was dieser Zweck sein könnte, ist
dann für Williams wie für N.s Sprecherinstanz das Leben selbst (vgl. ebd., 337).
Dass damit nichts wirklich erklärt werde, stellt Klaiber 2017 scharfsinnig he-
raus.
411, 16-22 Der Mensch, das tapferste und leidgewohnteste Thier, verneint an
sich nicht das Leiden: er will es, er sucht es selbst auf, vorausgesetzt, dass
man ihm einen Sinn dafür aufzeigt, ein Dazu des Leidens. Die Sinnlosigkeit
des Leidens, nicht das Leiden, war der Fluch, der bisher über der Menschheit
ausgebreitet lag, — und das asketische Ideal bot ihr einen Sinn!]
Man könnte mutmaßen, das Leiden sei gerade zur Intensivierung des Lebens
da - in dieser Intensivierung liege sein neuer Sinn, auch wenn GM III 28 das
keineswegs explizit behauptet. Könnten wir uns ständig glücklich und leidlos
halten, wäre dann nicht alles wertlos? Wie viel Leiden ist also nötig, für das in
GM sprechende „Ich", für uns? Aber ist die Idee einer Notwendigkeit des Lei-
dens nicht ein Relikt des asketischen Ideals? Den Priestern wird ja gerade vor-
geworfen, dass sie das Leiden verlängern statt abschaffen wollten. Ist jedoch
heroischer amor fati nicht ebenfalls eine asketische Ideologie, die eigentlich
an der Leidensverstetigung interessiert ist? Vgl. auch May 2009, 99; May 2011a,
lO f. u. May 2011b, 78, ferner Gardner 2009, 25-28, der aus GM III 28 ein Argu-
ment gegen eine naturalistische N.-Interpretation gewinnen will, sowie Poell-
ner 2009, 172, der in GM III 28 eine Verbindung von phänomenalem Werteob-
jektivismus und metaphysischem Antiobjektivismus belegbar findet. Gemes/
Sykes 2014, 81 argumentieren, die in 411, 19-22 artikulierte Sichtweise werde
bereits in GT vertreten. Angehrn 2017, 159 gleicht die Einsicht, nicht das Lei-
den , sondern dessen Sinnlosigkeit sei das Problem, mit Adorno und Levinas
ab.
411, 24 „faute de mieux"] Französisch: „in Ermangelung eines Besseren".
Siehe Negri 2015.
411, 31-412, 1 er hatte einen Sinn, er war fürderhin nicht mehr wie ein Blatt im
Winde, ein Spielball des Unsinns, des „Ohne-Sinns"] Vgl. Za I Von der schenken-
den Tugend 2, KSA 4, 100, 14-16: „Noch kämpfen wir Schritt um Schritt mit
dem Riesen Zufall, und über der ganzen Menschheit waltete bisher noch der
Unsinn, der Ohne-Sinn."
412, 14-16 Und, um es noch zum Schluss zu sagen, was ich Anfangs sagte: lieber
will noch der Mensch das Nichts wollen, als nicht wollen...] Dieser Satz