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Vogel, Paul; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [VerfasserIn] [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse (1933, 5. Abhandlung): Studien über den Schwindel — Berlin, 1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.43672#0009
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Studien über den Schwindel

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fehlende oder gestörte Leistung verwalte. Es lag in der Art dieser
Experimente, daß sie vor allem über die Beziehungen des Nerven-
systems zur Motorik Auskunft gaben. Die Bewegungen der Tiere
und ihre Störungen waren ja direkt sichtbar und beobachtbar. Sie
waren gewissermaßen der objektivste Test für die Folgen der Opera-
tion. Wir erfahren aus dem Kommissionsbericht an die Pariser
Akademie der Wissenschaften, welcher Befund unter den Ergeb-
nissen Flourens’ den größten Eindruck auf die Zeitgenossen
machte. Es war die Feststellung, daß das Kleinhirn „die zur Orts-
veränderung nötigen Bewegungen des Tieres in gewisser Art ordne
und ins Gleichgewicht bringe“. Flourens hatte nämlich beob-
achtet, daß mit zunehmender operativer Entfernung des Kleinhirns
die Tiere einen schwankenden, unordentlichen, an die Betrunken-
heit erinnernden Gang bekamen, daß Stehen, Gehen und Fliegen
ungeschickt, schließlich ganz unmöglich wurde, und daß jede Art
von Gleichgewichtserhaltung schwand. Er schloß daraus, daß das
Kleinhirn die Bewegungen zwar nicht erregt oder will, sie aber ver-
knüpft, ordnet, koordiniert.
Purkinje hat diese Entdeckung Flourens’ und die späteren
ähnlichen von Mögend ie in ihrer vollen Bedeutung erkannt, und er
hat in einer zweiten großen Arbeit über den Schwindel sich aus-
führlich mit ihnen auseinandergesetzt. Er wendet gegen Flourens’
These, daß das Kleinhirn die Bewegungen ordne, ein, daß sie zu
allgemein und inhaltlich nicht bestimmt genug sei. Den zerebellaren
Bewegungsstörungen, die Flourens rein formal als ungeordnet und
regellos charakterisiert hatte, gibt Purkinje eine inhaltliche,
erlebnismäßige Deutung, indem er sie als Schwindelbewegungen
wiedererkennt. Aus seinem heautognostischen Experiment über den
Drehschwindel wußte er, daß es dabei zu einer „einseitigen Be-
wegungstendenz“ des Körpers kommt, die ihn weiterdrehen will.
Er betont, daß es sich dabei nicht um eine „bloße quantitative
Affektion der einen oder andern Seite“ handelt, wie bei einer Läh-
mung, sondern um eine positive richtungsmäßige Determination
beider Seiten. Die Tierversuche der Franzosen, vor allem die
Magendie’s, die Purkinje selbst wiederholte, in denen es nach
Verletzungen bestimmter Kleinhirnteile zu Drehungen der Tiere um
die Längsachse, zu Rollbewegungen kam, lassen Purkinje keinen
Zweifel daran, daß in diesen Versuchen und in seinen Schwindel-
experimenten die gleichen Bewegungsstörungen auftreten, daß die
Phänomene dieser scheinbar unzweckmäßigen Bewegungen als
 
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