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Vogel, Paul; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [VerfasserIn] [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse (1933, 5. Abhandlung): Studien über den Schwindel — Berlin, 1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.43672#0010
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10

P. Vogel:

Schwindel anzusprechen seien. Bewegungsstörungen und räumliche
Desorientierung sind so im Schwindel auf das engste verknüpft.
„Die Bewegungsfunktionen des Gehirns müssen mit den Erscheinun-
gen des Schwindels unter einen Begriff gebracht werden. — Im
Schwindel kommt es zu einer Störung in dem Gleichgewicht der
willkürlichen Bewegungskräfte und der mit ihnen aufs innigste ver-
knüpften Raumanschauung. -—- Im inneren Sinne erscheint der
Schwindel als eine Verwirrung der räumlichen Anschauung durch
scheinbare, den Objekten nicht entsprechende Bewegung, äußerlich
durch unwillkürliche einseitige Muskelaktionen.“ In solchen immer
neuen Formulierungen bemüht sich Purkinje, die psychophysische
Einheit des Schwindels zu erfassen. Gegenüber den Versuchen
Flourens’ und Magendie’s sieht er den unvergleichlichen Vorzug
seiner Forschung darin, daß sie es gestattet, sich zugleich „über die
Veränderung im inneren Sinne Rechenschaft geben zu können“.
Erst auf diese Weise können die Untersuchungen über die Ge-
hirnfunktionen einem vollen physiologischen Verständnis zugeführt
wurden.
In PurkiNJE und Flourens stoßen zwei tiefverschiedene
Potenzen der Physiologie des 18. Jahrhunderts zusammen. Pur-
kinje fand die Anregung zu seinen Schwindelstudien in den Schriften
Erasmus Darwins, dessen Zoonomie ein vitalistisches Buch ist,
erfüllt von dem Kampf gegen alle mechanistischen Erklärungsver-
suche der Lebensvorgänge. Und die Grundhaltung seiner sinnes-
physiologischen Forschung verdankt ihren Ursprung Goethe und
seiner Farbenlehre.
Flourens’ Tierversuche schließen nach Methode und Frage-
stellung an Experimente Albrecht von Hallers und seiner Schüler
an, für die die NEWTONsche Mechanik das große Erklärungsprinzip
organischer Vorgänge war. Kein Wunder, daß ihnen die Beob-
achtung von Bewegungserscheinungen der eigentliche Ausgangs-
gunkt wissenschaftlicher Physiologie war. Nun wird klar, was
Purkinje unternahm, als er die Untersuchungen der französischen
Physiologen mit seinen eigenen verbinden wollte. Er vereinigte
seine phänomenologischen Befunde, seine heautognostischen Daten
mit den Ergebnissen der Tierversuche, mit der objektiven Beob-
achtung von motorischen Störungen zu einer das Erlebnis und die
Körperbewegung umfassenden Schwindellehre, die so eine psycho-
physische wurde. Die innige Verknüpfung aber von Bewegungs-
kräften und räumlicher Anschauung, wie sie im Schwindel sich
 
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