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P. Vogel:
denen Wahrnehmen und Handeln konstruiert werden sollten.
Reflexphysiologie und Sinnesphysiologie entwickelten die Gesetze
und Regeln, nach denen dies geschah. Heide gingen getrennte Wege,
wurden geradezu zwei autonome Provinzen der Physiologie, und in
zunehmendem Maße setzten sie sich auch in den einzelnen Forschun-
gen voneinander ab. Daß dieser Dualismus in engem Zusammen-
hang steht mit der Entwicklung des psychophysischen Problems im
19. Jahrhundert, ja daß dessen Dialektik sich geradezu in jener
Zweiheit abspielt, soll hier nur angedeutet werden. Die Behandlung
der konkreten Frage des Schwindels durch die Reflexphysiologie
einerseits, die Sinnesphysiologie andererseits, wird das zur Genüge
verdeutlichen. Die Anschauungen, die auf diesen beiden Wegen der
Physiologie gewonnen worden sind, lassen sich schlagwortartig zu-
sammenfassen in die beiden Sätze: Der Schwindel ist wesentlich
eine Gleichgewichtsstörung und: der Schwindel ist wesentlich
eine Sinnestäuschung. Von diesen beiden Lehren soll nun ein kurzer,
die Hauptpunkte berührender Überblick gegeben werden.
Schwindel als Gleichgewichtsstörung.
Eine gute Anschauung und eine klare Entwicklung der wesent-
lichen Momente dieser Lehre vom Schwindel findet sich in den
Untersuchungen von Ewald. Mit einer minutiösen Technik und
einer äußerst genauen Beobachtung und Kontrolle hat Ewald an
Tieren, vor allem an Tauben, die Funktionen des Labyrinthes
studiert. Er knüpfte an an die Durchschneidung und Exstirpation
der halbzirkelförmigen Kanäle, wie sie vor ihm bereits Flourens
und Goltz ausgeführt hatten. Er erweiterte diese Versuche durch
Plombierungen und Reizungen einzelner Bogengänge und nahm
schließlich auf Grund der so gewonnenen Erkenntnis Stellung zur
Frage des Schwindels beim Menschen. ,, Schwindel entsteht“, so führt
Ewald aus,,,falls ein oder mehrere Hilfsmittel versagen, die uns zur
statischen Orientierung dienen, d. h. also, wenn eines der Sinnes-
organe, die bei der Erhaltung des Gleichgewichts eine Rolle spielen,
in seinen normalen Funktionen beeinträchtigt wird.“ Das wich-
tigste Organ dieser statischen Orientierung, dasjenige, das deshalb
auch besonders geeignet ist, Schwindel zu erzeugen, ist für Ewald
das Labyrinth. Zwar wird in seiner Darstellung auch auf den opti-
schen, den optokinetischen, den kinästhetischen Schwindel Bezug
genommen, aber diese andern Hilfsmittel statischer Orientierung
P. Vogel:
denen Wahrnehmen und Handeln konstruiert werden sollten.
Reflexphysiologie und Sinnesphysiologie entwickelten die Gesetze
und Regeln, nach denen dies geschah. Heide gingen getrennte Wege,
wurden geradezu zwei autonome Provinzen der Physiologie, und in
zunehmendem Maße setzten sie sich auch in den einzelnen Forschun-
gen voneinander ab. Daß dieser Dualismus in engem Zusammen-
hang steht mit der Entwicklung des psychophysischen Problems im
19. Jahrhundert, ja daß dessen Dialektik sich geradezu in jener
Zweiheit abspielt, soll hier nur angedeutet werden. Die Behandlung
der konkreten Frage des Schwindels durch die Reflexphysiologie
einerseits, die Sinnesphysiologie andererseits, wird das zur Genüge
verdeutlichen. Die Anschauungen, die auf diesen beiden Wegen der
Physiologie gewonnen worden sind, lassen sich schlagwortartig zu-
sammenfassen in die beiden Sätze: Der Schwindel ist wesentlich
eine Gleichgewichtsstörung und: der Schwindel ist wesentlich
eine Sinnestäuschung. Von diesen beiden Lehren soll nun ein kurzer,
die Hauptpunkte berührender Überblick gegeben werden.
Schwindel als Gleichgewichtsstörung.
Eine gute Anschauung und eine klare Entwicklung der wesent-
lichen Momente dieser Lehre vom Schwindel findet sich in den
Untersuchungen von Ewald. Mit einer minutiösen Technik und
einer äußerst genauen Beobachtung und Kontrolle hat Ewald an
Tieren, vor allem an Tauben, die Funktionen des Labyrinthes
studiert. Er knüpfte an an die Durchschneidung und Exstirpation
der halbzirkelförmigen Kanäle, wie sie vor ihm bereits Flourens
und Goltz ausgeführt hatten. Er erweiterte diese Versuche durch
Plombierungen und Reizungen einzelner Bogengänge und nahm
schließlich auf Grund der so gewonnenen Erkenntnis Stellung zur
Frage des Schwindels beim Menschen. ,, Schwindel entsteht“, so führt
Ewald aus,,,falls ein oder mehrere Hilfsmittel versagen, die uns zur
statischen Orientierung dienen, d. h. also, wenn eines der Sinnes-
organe, die bei der Erhaltung des Gleichgewichts eine Rolle spielen,
in seinen normalen Funktionen beeinträchtigt wird.“ Das wich-
tigste Organ dieser statischen Orientierung, dasjenige, das deshalb
auch besonders geeignet ist, Schwindel zu erzeugen, ist für Ewald
das Labyrinth. Zwar wird in seiner Darstellung auch auf den opti-
schen, den optokinetischen, den kinästhetischen Schwindel Bezug
genommen, aber diese andern Hilfsmittel statischer Orientierung