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Vogel, Paul; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [VerfasserIn] [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse (1933, 5. Abhandlung): Studien über den Schwindel — Berlin, 1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.43672#0019
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Studien über den Schwindel

19

Dies sind die Grundlagen, auf denen die sinnesphysiologische
Lehre vom Schwindel ruht, denn nach dieser sind die Drehemp-
findungen die den Schwindel bedingenden Bewußtseinsinhalte. So
formuliert Pütter, daß die halbkreisförmigen Kanäle uns die Emp-
findungen von Drehungen des Kopfes vermitteln, eine Empfindung,
die wir bei genügender Intensität als Drehschwindel bezeichnen.
Von andern, und das ist wohl die verbreitetste Ansicht, wird das
Moment der Sinnestäuschung mehr in den Vordergrund gestellt.
,,Schwindel ist eine Täuschung über den Bewegungszustand des
Körpers — er kommt zustande, wenn die Angaben des Labyrinthes
einerseits und die der übrigen Sinnesorgane andererseits über
den Bewegungszustand des Körpers in Widerspruch miteinander
stehen“ (W. Nagel). Oder man spricht dann von Dreh-
schwindel, wenn dem Gefühl der Drehung keine reale Drehung ent-
spricht. In der Linie des sinnesphysiologischen Ansatzes wird so
der Schwindel zu einem Erkenntnisirrtum, zu einem Fehlurteil.
Es war bereits angedeutet worden, daß um diese Lehre zu ent-
wickeln, die motorischen Erscheinungen des Schwindels geradezu
ausgeschaltet werden mußten. Sie sind komplizierende störende
Momente in den Drehversuchen, sie treten auch bei Scheinbewe-
gungen auf und werden nach Breuers Ansicht reflektorisch durch
die Bewegungsempfmdungen hervorgerufen. W. Nagel spricht in
bezug auf sie von den sogenannten objektiven Schwindelerschei-
nungen. Eigentlich zum Schwindel, jener bestimmten Gruppe sub-
jektiver Erscheinungen gehörig, erscheinen ihm nur die sich als
Gegenbewegung gegen eine wahre oder eine vorgetäuschte Bewegung
darstellenden Reaktionen des Körpers. Das übrige sind Reflexe,
die als bewußtlose Abläufe nichts mit dem Schwindel im engeren
Sinne zu tun haben. Die sinnesphysiologische Lehre vom Schwindel
behandelt also die Schwindelbewegungen gewissermaßen als Zu-
taten, die sekundär hinzukommen, oder als unabhängig vom Schwin-
delerleben vor sich gehende reflektorische Abläufe.

Die beiden so skizzierten Lehren vom Schwindel sind gleichsam
die Schemata, nach denen auch heute noch in Lehr- und Hand-
büchern das Gebiet des Schwindels dargestellt wird. Wir verkennen
nicht, welcher Zuwachs an Wissen inzwischen entstanden ist, welche
 
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