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Vogel, Paul; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [VerfasserIn] [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse (1933, 5. Abhandlung): Studien über den Schwindel — Berlin, 1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.43672#0033
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Studien über den Schwindel

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Kreis beschränkt, sondern hat den statischen mit ergriffen. Der
Schwindel klingt an, und sein Auftreten bedeutet, daß die Regula-
tion der räumlichen Einordnung unter der Bedingung der Störung
ihre natürliche Grenze erreicht hat. Die Drehung des Körpers bringt
die Vp. ms Fallen nach der einen Seite, die nystaktischen Augen-
bewegungen werden regellos, die räumliche Desorientierung setzt
ein. Dem klinischen Beobachter fallen in dieser Situation A an der
Vp. die motorischen Reaktionen auf. Aber das Geschehen ist, wie
wir sahen, ganz unzureichend beschrieben, wenn man etwa sagt,
daß der Drehreiz zu bestimmten Reflexen führt. Denn diese motori-
schen Phänomene stehen als Momente in einem die Wahrnehmung
und die Motorik umfassenden psychophysischen Zusammenhang.
Erst diese aus dem Erlebten und dem Beobachteten sich ergebende
psychophysische Konfiguration ist charakteristisch für diese Situa-
tion, und sie ist eine gänzlich andere in der zweiten, nunmehr zu
analysierenden Situation B.
Diese ist gegeben mit der Fixation einer Marke vor den Streifen
oder dem Starren ins Unendliche. In ihr entsteht das Erlebnis der
Scheinbewegung der Marke und des Raumes. Auch in dieser Situa-
tion B kann sich bei langsamer Geschwindigkeit des Rades im opti-
schen Kreis allein ein Gleichgewicht entwickeln, und zwar in folgen-
der Weise: Die Augen der Vp. sind ruhig auf die Marke gerichtet,
sie stehen still. Ein sichtbarer Nystagmus ist nicht vorhanden.
Die Marke bewegt sich entgegengesetzt der Drehrichtung des Rades
stetig fort. Die Geschwindigkeit dieser Scheinbewegung nimmt
immer mehr zu, während die Geschwindigkeit des Drehrades ent-
sprechend abzunehmen scheint. Das ist sehr gut zu beobachten,
wenn man für kurze Zeit, statt zu fixieren, wieder auf die Streifen
sieht. Diese schießen dann plötzlich viel schneller vorbei. Schließlich
wird ein Zustand erreicht, in dem man das Drehrad stillstehen und
die Marke mit großer Geschwindigkeit in der andern Richtung sich
fortbewegen sieht. Dabei ist es so, daß die Scheinbewegung um so
ausgesprochener ist, je besser die Vp. fixiert, je ruhiger ihre Augen
stehen. Und diese können um so ruhiger gehalten werden, je geringer
die Drehung des Rades erscheint, die von der Fixation immer ab-
lenken will. Die Drehung des Rades aber ist um so geringer, je
deutlicher die Scheinbewegung der Marke ist. Wiederum findet sich
hier, wie in der Situation A, eine gegenseitige Abhängigkeit und Be-
dingtheit von Reiz, Wahrnehmung und Motorik. Daß es sich hier
um ein feingefügtes Gleichgewicht handelt, merkt man in diesem
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie 1933, 5. 3
 
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