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Vogel, Paul; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [VerfasserIn] [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse (1933, 5. Abhandlung): Studien über den Schwindel — Berlin, 1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.43672#0060
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P. Vogel:

geradezu animiert von dem Vorschlag. In ihnen klingt an das Ver-
gnügen und die Belustigung, die solche Fahrten bei ihnen auslösten.
Andere winken deutlich ab, schon das bloße Zusehen kann sie krank
machen. Und einige machen ein süß-saures Gesicht, sie wissen nicht
recht, wie es ausgehen wird und möchten doch ganz gerne mittun.
Affektiv beteiligt sind alle diese, die so reagieren, aber die ausgelösten
Gefühle sind recht verschieden. Sie zeigen, was die einzelnen in
solchen Schwindelsituationen erlebt haben.
Sucht man im Rahmen des bisher Erörterten nach einer physio-
logischen Deutung dieser Phänomene, so kann man annehmen, daß
die in Schwindelversuchen auftretende vegetative Umstimmung
hinsichtlich ihres Erfolges an den verschiedenen Organen jeweils eine
verschiedene Richtung nehmen kann, der dann auch eine bestimmte
psychische Valenz zukommt (Euphorie, Dysphorie, Ambivalenz).
Der Begriff der Umstimmung läßt diese Möglichkeit durchaus zu,
denn wir wissen, daß die nervöse Umstimmung innerhalb des vegeta-
tiven Bereiches das Organgeschehen abwandelt. Aber in welcher
Richtung diese Abwandlung geschieht, das hängt von einer ganzen
Reihe von Momenten ab. In unserem Falle spielen für diese Ent-
scheidung z. B. eine Rolle: das Lebensalter, der jeweilige Zustand
der Erfolgsorgane (etwa Überfüllung des Magens oder eine Magen-
erkrankung), sicher auch die seelische Verfassung, in der sich jemand
befindet, und endlich auch das bisher in ähnlichen Situationen
Erlebte und mit diesem Verknüpfte. Ein überaus kompliziertes
Gefüge also, welches zeigt, daß solche vegetativen Abläufe nicht
eindeutig bestimmt sind durch die nervösen Impulse, die auf sie ein-
wirken, sondern daß sie ihnen gegenüber eine gewisse Selbstbestim-
mung, eine gewisse Autonomie bewahren. Wir halten es deshalb
nicht für glücklich, wenn solche Vorgänge kurzerhand als Reflexe,
etwa vom Labyrinth auf den Magen oder die Vasomotoren, be-
zeichnet werden. Damit wird ein zu starres und zu enges Schema
geschaffen, das eine Auflockerung oft nur durch den Hinweis auf
konstitutionelle Varianten zuläßt, die häufig nicht recht faßbar sind.
Es mag Menschen geben, die überhaupt nie seekrank werden, denen
auch schwierige Seefahrten gar nichts machen, und solche, die regel-
mäßig ihre Nausea bekommen. Aber wie viele Möglichkeiten be-
stehen außerdem! Man kann nach einigen Fahrten seefest werden.
Das kommt auch in Schwindelexperimenten vor. Aber diese Ge-
wöhnung kann nach gewisser Zeit wieder abklingen und muß von
neuem erworben werden. Eine bestimmte ausgebildete Reaktions-
 
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