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Hattingberg, Immo; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [VerfasserIn] [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse (1939, 10. Abhandlung): Sensibilitätsuntersuchungen an Kranken mit Schwellenverfahren: aus der Nervenabteilung der Medizinischen Klinik der Universität Freiburg i. Br — Heidelberg, 1939

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43768#0104
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an Kranken mit Schwellenverfahren

105

Der histologische Bau gibt für diese Fragen zwei Gesichts-
punkte:
Je mehr Bahnen zur Verfügung stehen und je weiter sie räum-
lich auseinander liegen, umso kleinere Lücken wird eine örtlich
begrenzte Schädigung aus der empfindlichen Fläche herausstanzen,
umso leichter werden dann die erhaltenen Bahnen die Lücken
überbrücken. Das trifft für die Peripherie zu. Schon aus der Zahl
und aus dem getrennten Verlauf der peripheren Fasern ergibt
sich, daß der Leistungsausfall nach einer örtlichen Schädigung ge-
ringer sein muß als bei Schädigung von Rückenmarksbahnen.
Umgekehrt: Je enger die Bahnen miteinander verknüpft sind,
umso größer ist die „Plastizität“ ihrer Leistung und umso leichter
wird die Erregungsleitung von einer auf die andere umgeschaltet
werden können. Dies trifft nach Tschlenoff z. B. für die Hinter-
stränge zu. Denn die Bahnen der Hinterstränge enden alle an
zwei relativ kleinen Kernpaaren. Hier ist durch die Anordnung
der Synapsen eine weitgehende Umschaltung auf kurze Strecken
möglich.
Der dritte Gesichtspunkt läßt sich aus der Funktion ableiten.
Je besser die histologischen Umschaltmöglichkeiten „gebahnt“
sind, umso schneller werden sie in Tätigkeit treten. Hier spielt
also die Übung wieder eine wichtige Rolle. So erklärt sich unter
anderem, daß sich die Schwellenveränderlichkeit an den eigent-
lichen Tastflächen weniger in die Umgebung ausbreitet als zum
Beispiel am Rumpf.
4. Die Bedeutung der Schwellenveränderlichkeit
für die Tastagnosie.
Als Wernicke (55) die ersten Kranken mit reiner Tast-
agnosie beschrieb, versuchte man sich bei allen krankhaften Er-
scheinungen möglichst weitgehende bildliche Vorstellungen zu
machen. Man versuchte auch daher, die Tastagnosie aus dem
Ausfall bestimmter Leitungsbahnen oder Zentren zu erklären.
Stein und v. Weizsäcker (6, 61) stellten einen grundsätzlich neuen
Gesichtspunkt auf, als sie auseinanderlegten, daß bei den Schädi-
gungen des Zentralnervensystems mit seiner großen Plastizität der
Ausfall von Bahnen wahrscheinlich eine geringere Rolle spielt als
die Änderung der Funktion. Sie machten darauf aufmerksam, daß
schon ein leichter Wandel im Erregungsablauf eines sensiblen
Systems das Zusammenwirken mit den übrigen erheblich stören
 
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