14 (A. 8)
Leo Koenigsberger.
Denken ist nicht, wie Kant meinte, die Quelle des Seins — und
so wird auch meine schwache Stimme ungehört verhallen, wenn
ich die Vertreter der Geistes- und Kulturwissenschaften in unserer
Gelehrtenwelt in aller Bescheidenheit bitte, der Mathematik
einen Platz in ihrer Mitte einzuräumen —- auch ihre Wissens-
gebiete können nicht ganz der Erfahrung entbehren.
Möge diese Bitte eine Unterstützung finden in einem charak-
teristischen Ausspruche Friedrich des Grossen, dessen Wert-
schätzung und Entgegenkommen gegen jegliche Art geistigen Schaf-
fens ich schon am Beginn meines Vortrages zu rühmen hatte. Nach-
dem sich der König lange gegen den Wunsch Maupertuis’ gesträubt,
den Prinzen Badziwill in die Akademie aufnehmen zu lassen —
,,da darf kein Fürst und kein Mönch hinein“ —, mußte er doch
endlich dem wiederholten Drängen hervorragender Akademiker
nachgeben, und der große Psychologe tat dies resigniert mit den
Worten:
„Diese Menschen dienen als Schönheitspflästerchen für solche,
welche nicht so unbedeutend sind wie sie; bei der Königin
von Polen erinnere ich mich, eine Negerin gesehen zu haben, ein
afrikanisches Monstrum, und ich kann nicht leugnen, an ihrer
Seite nahm sich die Königin weniger abschreckend aus.“
Lassen Sie mich die Hoffnung aussprechen, daß unsere dunkle
Farbe allmählich verblassen, daß die Negerin ihre Menschen-
rechte geltend machen wird, und daß die Mathematik als gleich-
berechtigtes Glied im großen Beiche der Geisteswissenschaften sich
wird betätigen können.
Als vor hundert Jahren Egoismus und Ehrgeiz, getragen von
höchster Genialität und unermeßlicher Tatkraft den Unterschied
zwischen den Nationen zu verwischen und die Selbständigkeit
und Freiheit der Völker zu vernichten sich erkühnte, da schufen,
fern von dem Toben des Krieges und unbekümmert um das durch
unerhörte kriegerische Triumphe berauschte Volk, die großen
französischen Philosophen und Mathematiker ihre unsterblichen
Werke, die Grundlagen unserer heutigen Wissenschaft. Und als
das deutsche Volk sich erhob zur Wiedererkämpfung der ihm
ureigensten Hechte der Existenz und Freiheit, und ganz Deutsch-
land in ein Kriegs- und Siegeslager verwandelte, da waren es
Goethe, der Fürst im Beiche der Geisteswissenschaften, und
Gauss, der princeps mathematicorum, welche die Stürme draußen
von sich abwehrend das Wiedererwachen des geistigen Lebens
Leo Koenigsberger.
Denken ist nicht, wie Kant meinte, die Quelle des Seins — und
so wird auch meine schwache Stimme ungehört verhallen, wenn
ich die Vertreter der Geistes- und Kulturwissenschaften in unserer
Gelehrtenwelt in aller Bescheidenheit bitte, der Mathematik
einen Platz in ihrer Mitte einzuräumen —- auch ihre Wissens-
gebiete können nicht ganz der Erfahrung entbehren.
Möge diese Bitte eine Unterstützung finden in einem charak-
teristischen Ausspruche Friedrich des Grossen, dessen Wert-
schätzung und Entgegenkommen gegen jegliche Art geistigen Schaf-
fens ich schon am Beginn meines Vortrages zu rühmen hatte. Nach-
dem sich der König lange gegen den Wunsch Maupertuis’ gesträubt,
den Prinzen Badziwill in die Akademie aufnehmen zu lassen —
,,da darf kein Fürst und kein Mönch hinein“ —, mußte er doch
endlich dem wiederholten Drängen hervorragender Akademiker
nachgeben, und der große Psychologe tat dies resigniert mit den
Worten:
„Diese Menschen dienen als Schönheitspflästerchen für solche,
welche nicht so unbedeutend sind wie sie; bei der Königin
von Polen erinnere ich mich, eine Negerin gesehen zu haben, ein
afrikanisches Monstrum, und ich kann nicht leugnen, an ihrer
Seite nahm sich die Königin weniger abschreckend aus.“
Lassen Sie mich die Hoffnung aussprechen, daß unsere dunkle
Farbe allmählich verblassen, daß die Negerin ihre Menschen-
rechte geltend machen wird, und daß die Mathematik als gleich-
berechtigtes Glied im großen Beiche der Geisteswissenschaften sich
wird betätigen können.
Als vor hundert Jahren Egoismus und Ehrgeiz, getragen von
höchster Genialität und unermeßlicher Tatkraft den Unterschied
zwischen den Nationen zu verwischen und die Selbständigkeit
und Freiheit der Völker zu vernichten sich erkühnte, da schufen,
fern von dem Toben des Krieges und unbekümmert um das durch
unerhörte kriegerische Triumphe berauschte Volk, die großen
französischen Philosophen und Mathematiker ihre unsterblichen
Werke, die Grundlagen unserer heutigen Wissenschaft. Und als
das deutsche Volk sich erhob zur Wiedererkämpfung der ihm
ureigensten Hechte der Existenz und Freiheit, und ganz Deutsch-
land in ein Kriegs- und Siegeslager verwandelte, da waren es
Goethe, der Fürst im Beiche der Geisteswissenschaften, und
Gauss, der princeps mathematicorum, welche die Stürme draußen
von sich abwehrend das Wiedererwachen des geistigen Lebens