Metadaten

Goldschmidt, Victor; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse: Abteilung A, Mathematisch-physikalische Wissenschaften (1921, 12. Abhandlung): Über Complikation und Displikation — Heidelberg: Winter, 1921

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.56266#0026
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
26

Victor Goldschmidt:

Die Bildung der Begriffe und Zeichen für die höheren Zahlen
ist eine Wiederholung derer zwischen 1 und 10. Es bildete sich

10 • 20 • 30 • • • analog 1 • 2 • 3 • • •
Wir sehen das deutlich in
Worten und Ziffern, z. B.
I II III IV V VI
VII VIII IX X
X XX XXX XL L LX
LXX LXXX XG C
G GG CGC [GD] D DG
DGG DGGG [GM] M
Anschauung und Rechnung.
Die Bildung der Ziffern von

1 — 10 ist beherrscht von der Anschauung und entwickelt sich mit
dieser (Gomplikation). Die der höheren Ziffern dagegen ist be-
herrscht von der schon höher entwickelten Rechenkunst.1 Sie
überträgt das zwischen 1 und 10 Erworbene. Je höher wir steigen,
desto mehr herrscht die Rechnung, verliert sich die Anschauung.
Wir sehen das z. B. bei obigen römischen Ziffern. IV=V—I
ist anschaulicher als IIII und wird vorgezogen. Bei den analog
gebildeten höheren Ziffern ist XXXX mindestens ebenso häufig als
XL; CD aber tritt gegen CCCC entschieden zurück. Über M geht
das römische Ziffernsystem praktisch zu Bruch. Es wird verdrängt
durch ein anderes, das sogenannte arabische.
Bei den arabischen Ziffern 1—10 ist die Anschaulichkeit
verloren gegangen. Sie haben dieselbe besessen, wie ich glaube
zeigen zu können. Dagegen haben sie ein schönes Verfahren der
periodischen Weiterbildung ausgebildet (mit Stellenwert und Null),
das sich sogar absteigend für die Werte von 1 bis 0 weiter ent-
wickeln ließ (Dezimalbrüche). In dem Maß, wie die Rechnung
das Übergewicht erlangte über die mit Anschauung verknüpfte
Auffassung der Zahlen, haben die arabischen Ziffern die römischen
verdrängt. Sie hätten sie aus allen Positionen verdrängt, wäre
ihnen in den Grenzen 1 — 10 die ursprüngliche Anschaulichkeit er-
halten geblieben.
So ist der Kampf noch nicht beendet. Da, wo unmittelbare
Anschauung erwünscht ist, bei den kleinen Zahlen I • II • III, dann
V und X, auch IV und VI finden die römischen Ziffern noch immer
ihre Verehrer und Anwender.2 II ist anschaulicher als 2, XX an-
schaulicher als 20. Dagegen ist MDGGI nicht anschaulicher als
1701 und zugleich für die Rechnung schlecht. Die Anwendung der
1 Elf und Zwölf, XI • XII gehören noch zu den anschaulichen Zahlen. Da-
her ihre alten, eigenartigen Namen.
2 Sie werden z. B. auf den Zifferblättern unserer Uhren bevorzugt.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften